Verdacht auf Mord
in den Händen. Gymnasiasten, so ernst, als sei ihnen der Tod auf den Fersen, obwohl sie doch das ganze Leben noch vor sich hatten, aber das war natürlich ernst genug.
»Können Sie sich erinnern, ob Melinda mit einer dieser Personen besonders gern zusammen war?«
Margareta Selanders Blick wanderte systematisch erst die hintere Reihe entlang und dann nach vorne.
»Er«, sagte sie und deutete auf einen Jüngling mit ebenso verschlossener Miene wie die anderen. »Ich glaube, er war recht angetan von ihr.«
»Erinnern Sie sich an seinen Namen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dürfte ich das Foto ausleihen?«
Dann überließ er Margareta Selander wieder ihrer geschlossenen Welt und fuhr mit dem Auto zum Oskarsgymnasium. Irgendein Schülerverzeichnis müssen sie schließlich noch haben, dachte er.
Der Chef der Frauenklinik schloss resolut die Tür. Normalerweise ließ er sie nur einen Spalt offen stehen, um seinen Angestellten zu verstehen zu geben, dass er für sie zur Verfügung stand.
Erst hatte er eine Besprechung hinter sich gebracht, in der es um einen Konflikt oder, genauer gesagt, um unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Personalmittel ging. Da diese Besprechung nicht freundlich, sondern eher eisig gewesen war, war er froh, dass er sie hinter sich hatte. Schwelende Aggressionen und Halsstarrigkeit waren eine anstrengende Kombination. Ebenso wie Leute, die nicht kapieren wollten, was ihnen nicht in den Kram passte.
Kaum hatte er einatmen können, da klopfte auch schon Christina Löfgren an der Tür. Sie hielt auf der Schwelle inne und fragte, ob er zwei Minuten Zeit habe. Er nickte rasch. Im Unterschied zu manch anderen, die immer gleich angerannt kamen, suchte sie ihn nur selten auf, um nicht zu sagen: nie.
»Nehmen Sie Platz«, sagte er.
Das Zimmer ging nach Süden und war hell und freundlich. Im Sommer konnte es bei Sonnenschein schon einmal zu heiß werden. Trotzdem hatte er nur selten Lust, die Jalousien herunterzulassen. Aber jetzt war die Sonne schwach und blendete niemanden.
»Ich habe das Gefühl zu tratschen«, sagte sie mit Unbehagen in der Stimme und sah auf die Uhr.
Gut, dachte er, sie wird sich kurz fassen.
»Ich fühle mich nicht ganz wohl in meiner Haut. Als würde ich jemanden anschwärzen.«
Da sind Sie nicht die Einzige, dachte er. Kein Grund zum Grübeln. Alle tratschen und schwärzen sich gegenseitig an. So sieht die Welt nun mal aus. Etwas weiter oben in der Hierarchie bezeichnet man das als Strategie und Taktik.
»Kein Problem«, meinte er daher.
Sie schien jedoch so unentschlossen zu sein, dass er einsah, dass er etwas nachhelfen musste.
»Handelt es sich um eine persönliche Angelegenheit?«
»Nein, nicht im Geringsten!«
Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Es geht um Gustav Stjärne.«
Er horchte auf. Vor ihm saß jetzt schon die dritte Person, die innerhalb kürzester Zeit Gustav Stjärne zur Sprache brachte.
»Und?«
»Es ist schwierig, ihn einzuweisen. Man weiß nie, ob man zu ihm durchdringt, obwohl ich glaube, dass er sich bemüht …«
Unglücklich sah sie aus dem Fenster.
»Sie wissen ja, dass Sie nicht aus Zufall seine Mentorin wurden. Schließlich besitzen Sie so viel Erfahrung. Das wird schon gehen«, meinte er und hoffte, dass seine Stimme väterlich energisch klang. Er sah es als eine seiner wichtigsten Aufgaben, seinen Mitarbeitern den Rücken zu stärken.
»Ich will damit sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob er nicht irgendwann einmal eine Dummheit macht.«
Das saß. Er holte tief Luft, aber so langsam, dass sie es nicht merkte. Ein anderer Trick war, bis zehn zu zählen, wenn es unangenehm wurde. Nie, niemals durfte man etwas direkt zurückgeben. Das konnte sich böse rächen.
»So, so«, erwiderte er daher beherrscht.
Christina besaß Urteilsvermögen. Ihre Beobachtungen waren sicher nicht aus der Luft gegriffen, das musste er ihr zugute halten. Aber sechs Monate wird sie es doch wohl mit ihm aushalten können, dachte er müde. Das wäre das Einfachste, obwohl zufriedene Patienten natürlich Priorität hatten. Kunstfehler standen ganz oben auf den Wunschlisten der Journalisten. Und einen Skandal in den Zeitungen wollte er wirklich vermeiden. Der Unterschied zwischen den Enthüllungsjournalisten und ihm bestand darin, dass ihm in seinem Innersten klar war, dass auch Ärzte Menschen waren. Sie taten ihr Bestes, waren aber auch nicht ohne Fehler. Sonst wären sie auch keine Menschen, sondern Götter gewesen. Aber
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