Verdacht auf Mord
Tür hinter ihr zumachte.
Das ist gar nicht gut, dachte er und massierte mit kreisenden Bewegungen seine Stirn. Er war eigentlich stets auf Konsens bedacht. Diese Geschichte passte ihm überhaupt nicht. Eine unsichere Karte. Stjärne konnte wer weiß was anrichten. Darauf ließ Christina Löfgrens Reaktion schließen. Das war gar nicht gut.
Es war nicht seine Idee gewesen, Stjärne einzustellen. Aber er hatte sich auch nicht aktiv widersetzt, und darauf würden die Kritiker hinweisen, falls es Probleme gab. Er trug in letzter Konsequenz die Verantwortung. So war es nun mal. Falls ein Kopf rollte, dann seiner. Manche hatten an solchen Hinrichtungen richtig Spaß. In diesem Punkt hatten sie das Mittelalter noch nicht hinter sich gelassen.
Damals hatte er so viel anderes um die Ohren gehabt, den ganzen Haushaltsplan und die Lohnverhandlungen. Aber Eskil Nordin hatte die Sache so eifrig betrieben, dass er sich selbst kein ordentliches Bild von Stjärne gemacht hatte. Irgendein Sohn von jemandem, den Eskil von irgendeinem Kongress kannte, aber der Vater war offenbar kein Arzt. Was Eskil als Gegenleistung erhalten hatte, daran wollte er gar nicht erst denken. Den Vater kannte er nicht. Stjärne habe während des Studiums einen fantastischen Aufsatz geschrieben, hatte Eskil Nordin behauptet. Letztes Mal, als Nordin einen neuen Arzt vorgeschlagen hatte, war es auch ein Volltreffer gewesen.
Die Sache war wirklich nicht leicht.
Er strich sich mit der Hand übers Kinn. Schloss einen Augenblick die Augen und versuchte, sich zu sammeln. Vermutlich war es klug, sich Stjärnes Papiere noch einmal anzusehen. Er würde die Sekretärin bitten, sie hervorzusuchen. Vielleicht war es auch angezeigt, seine Stellvertreterin aufzusuchen und sie zu fragen, was sie in Erfahrung gebracht hatte, als sie Stjärnes frühere Arbeitgeber angerufen hatte. Er schaute auf die Uhr. Vermutlich war sie bereits im OP. Das musste warten. Wenn er sich recht erinnerte, hatte sie nur eine der Personen erreicht, die Stjärne als Referenz angegeben hatte. Ihrer Aussage zufolge hatte sein ehemaliger Chef nicht viel zu sagen gehabt und war wohl recht einsilbig gewesen. Sie hätte ihm mehr auf den Zahn fühlen sollen. Keine direkten Klagen, soweit er sie damals verstanden hatte, aber auch kein Jubel. Aber manchmal hörte man eben auch nur das, was man hören wollte. In diesem Fall, dass er ein vernünftiger Bursche war und dass sonst nicht viel zu sagen war.
Stjärne hatte bisher überwiegend in Norwegen gearbeitet und beim Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck gemacht. Korrekt, möglicherweise etwas distanziert, aber das ließ sich auch als Schüchternheit deuten. Obwohl ihm sein Gefühl sagte, dass die Persönlichkeit des Mannes zweifelhafte Züge aufwies. Er wirkte geradlinig und aufrichtig, wie man sich seine Mitarbeiter wünschte. Außerdem sollten sie natürlich loyal sein. Trotzdem war der Bursche seltsam, ganz einfach. Aber etwas Großzügigkeit konnten sie sich gestatten, schließlich mussten nicht alle aus einem Guss sein. Es ging ja auch nicht um eine feste Anstellung, gewisse Risiken konnte man also eingehen.
Wo er wohl studiert hatte?
Nun, das würde er erfahren, sobald er die Papiere in der Hand hielt.
Er seufzte und dachte, dass sich der Sturm sicher bald legen würde. Mit routinierter Handbewegung griff er nach dem Stapel in der rechten Schreibtischecke, schob ein paar Broschüren beiseite und nahm behutsam das Buch hervor, das unter ihnen verborgen gelegen hatte. Aufs Geratewohl schlug er eine Seite auf und versenkte sich in die Worte. Im Zimmer wurde es still, und sein Herz schlug mit einem Mal gleichmäßig und ruhig. Nichts brachte die Welt so rasch wieder in Ordnung wie ein paar Strophen eines Gedichts. An diesem Tag hatte er es genau richtig getroffen.
Da spürte er den Zorn in der Wange über den eitlen Fleiß der Menschen und sagte ein Sprichwort in den Wind über die Verrücktheit der Jugend .
Ester Wilhelmsson hatte sich mit ihrer Mutter auf der Ecke vor der Buchhandlung Gleerups verabredet. Dort trafen sie sich meist. Falls sich eine der beiden verspätete, dann waren hier immer viele Leute, die man betrachten konnte. Und Freitagnachmittag waren immer besonders viele Leute in der Stadt.
Es war bewölkt, aber mild, und sie trug nur eine dünne Jacke. Ihr Magen knurrte, da sie während der Arbeit keine Gelegenheit gefunden hatte, etwas zu essen. Sie hatte der Versuchung widerstanden, sich eine Tafel Schokolade zu kaufen,
Weitere Kostenlose Bücher