Verdacht auf Mord
hatte. Aber was hätte sie auch tun sollen? Wahrscheinlich war ihm die ganze Ehe zu eng gewesen. Nach einer Weile hatte auch sie ihre Ringe verlegt. Hatte sie zufällig in der Tasche eines Ärztekittels vergessen. In der Wäscherei hatte man sie nicht gefunden. Nach ein paar Jahren war Dan ausgezogen, und damit war die Geschichte zu Ende gewesen. Abgesehen von Cecilia.
»Wie es wohl Cecilia mit dem Umzug ergangen ist?«
Sie schaute auf die Uhr an der Küchenwand. Bereits zehn. Aber es war Sonntag und noch zu früh, um bei ihr anzurufen. Ihre große Tochter verschlief halbe Tage, wenn sie frei hatte.
»Wird schon alles geklappt haben«, meinte Claes, immer noch über den Sportteil gebeugt. »Ruf sie doch an, wenn du es genauer wissen willst.«
»Ja, später.«
Erst um eins rief Veronika Cecilia auf ihrem Handy an, erhielt aber keine Antwort. Festnetznummer hatte sie noch keine. Wahrscheinlich würde es eine Weile dauern, bis sich ihre Tochter darum kümmerte.
Veronika begann auszupacken, schüttelte den Sand aus den Taschen der Shorts und füllte die Waschmaschine. Am Kühlschrank hing das Informationsblatt des Kindergartens Humlan. Am nächsten Tag um zehn würde sie mit Klara dort mit dem Eingewöhnen beginnen. Das war ein feierlicher Augenblick. Sie hatte recht spät im Leben ihr zweites Kind bekommen, und jetzt würde auch diese kleinste Tochter den langen und hoffentlich angenehmen und ertragreichen Weg beginnen, der vom Kindergarten über die Vorschule zu all den Jahren in der Schule führte. Sie hatten sich den Kindergarten angesehen. Claes war auch dabei gewesen. Es war die dritte Kindertagesstätte gewesen, die sie besichtigt hatten. Sie hatten sich bei ihrer Entscheidung von ihrem Instinkt leiten lassen und nicht von irgendeiner Pädagogik.
»Ich bin mit allen pädagogischen Konzepten einverstanden, solange sie nur nett sind und sich um die Kinder kümmern«, hatte Claes gemeint.
Aber er war trotzdem auch skeptisch gewesen, und seine Zweifel hatten zugenommen, je näher dieser magische erste Tag gerückt war. Klara hatte bei dem ersten Besuch die anderen Kinder ernst und stumm betrachtet. Die Kindergärtnerin hatte sie herumgetragen, um ihr die Räume und alle Spielsachen zu zeigen, und es war ihr gelungen, ihr ein schüchternes Lächeln zu entlocken. Veronika war erleichtert gewesen. Immerhin hatte ihre Tochter nicht aus vollem Hals geschrien. Aber Claes war anschließend kreideweiß im Gesicht gewesen und hatte geäußert, er hätte das Gefühl, als stünde ihm eine Amputation bevor. Ihre Tochter fremden Leuten überlassen. Konnten aufrichtige und wohlmeinende Eltern ihr Kind wirklich der Vernachlässigung und Gleichgültigkeit anheimgeben? Mussten sie sich nicht eigentlich selbst um sie kümmern? Trotz allem.
»Du übertreibst«, hatte Veronika unbeschwert gemeint.
Diese Stimme war aus einem geläuterten Mütterherz entstiegen, das alles schon einmal erlebt hatte und deswegen gelassener blieb.
»Aber das ist doch alles so lange her«, hatte Claes immer noch zweifelnd eingewandt. »Mittlerweile handelt es sich um Massenabfertigung. Die Gemeinden haben kein Geld. Man pfercht die Kleinen zusammen. Überall ist es wahnsinnig laut, und die Beaufsichtigung ist schlecht. Die Kindergärtnerinnen haben uns nur etwas vorgegaukelt, als wir dort waren.«
»Wie willst du das wissen?«
»Es stand doch in der Zeitung, dass jetzt gespart werden soll. Es gibt zu wenig Personal, und die Kindergruppen sind zu groß. Die Kinder beißen sich gegenseitig«, hatte Claes mit einer Sorgenfalte zwischen den Brauen gemeint.
»Aber nicht im Humlan.«
»Wie willst du das wissen?«
»Abwarten«, hatte Veronika das Thema beendet.
Was hätten sie auch sonst tun sollen? Sie waren zwei moderne Menschen in der einzigen Gesellschaft, die ihnen zur Verfügung stand. Beide arbeiteten sie, und beiden gefiel ihre Arbeit. Sie hatten auch Spaß an ihrem Haus, aber eine Immobilie bedeutete Hypothek, und die musste bezahlt werden. Sie benötigten zwei Einkommen. Das wusste Claes genauso gut wie Veronika. Und sie verdiente mehr als er. Das wusste er auch.
Und wenn jemand zu Hause bleiben würde, so wäre er das.
Claes nahm seinen Wagen, weil er einkaufen wollte, aber erst fuhr er noch rasch beim Präsidium vorbei. Er wollte sehen, wie viel Arbeit auf ihn wartete, stellte aber erleichtert fest, dass sein Schreibtisch noch ebenso leer war wie vor sechs Monaten, als er seinen Elternurlaub angetreten hatte. Man ist nicht
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