Verdacht auf Mord
nervös und angestrengt. »Ich weiß nicht recht, an wen ich mich wenden soll, und Sie sind doch bei der Polizei … Also, mein Mann ist nicht nach Hause gekommen.«
Claesson holte tief Luft und dachte an alle entlaufenen Männer, die sich neue Frauen gesucht oder aus anderen Gründen dünngemacht hatten. Meist waren diese Gründe finanzieller Art. Die Augen immer noch auf Klara gerichtet, die sich weiterhin damit begnügte, die Hände abwechselnd in die Schuhe zu stecken, begann er genauere Fragen zu stellen. Wie lange er verschwunden sei? Vierundzwanzig Stunden. Ob er früher schon einmal verschwunden gewesen sei? Nein, noch nie. Ob er deprimiert sei? Nein, erwiderte sie, und er hörte, dass sie zögerte. Ob sie sich schon an die Polizei gewandt hätte? ja, aber dort meine man, sie solle abwarten, die meisten Leute tauchten wieder auf. Ob ihr Mann auf seiner Arbeit gewesen sei?
»Nein. Er ist krankgeschrieben.«
»Ist er krank?«
»Nein, nicht direkt, aber er soll operiert werden.«
Ist man dann nicht krank?, fragte sich Claesson. Obwohl natürlich ein großer Unterschied zwischen verletzt und krank bestand. Ersteres war eher eine Reparatur, Letzteres bedeutete eher, ans Bett gefesselt zu sein und nicht die Kraft zum Aufstehen zu haben.
»Darf ich fragen, was er operieren lassen muss?«
»Nur einen kleinen Tumor.«
Nur!
»Ach?«
»Einen ganz ungefährlichen hinter dem Ohr.«
Und dann kam die Geschichte von seinem Besuch der HNO-Klinik inLund.
»Haben Sie dort angerufen?«
»Natürlich«, antwortete Nina Bodén. Ihr versagte fast die Stimme. »Er ist nach der Kaffeepause nicht wieder aufgetaucht, aber das schien keine große Rolle zu spielen.« Sie weinte. »Sie glaubten, er hätte das Gefühl gehabt, genug erfahren zu haben, und sei nach Hause gefahren.«
Es war Abend.
Veronika machte sich jetzt die zweite Nacht ihr Bett im Angehörigenzimmer ganz hinten auf der neurochirurgischen Intensivstation. Daneben lag eine kleine Küche. Dort war es still. Sie hatte sich gerade eine Tasse Tee gekocht. Am Vormittag hatten zwei verheulte Personen, ein Mann und eine Frau, an diesem Tisch gesessen. Sie hatte sie anschließend nicht mehr gesehen. War ihr Sohn gestorben? Oder ihre Tochter? Sie wusste es nicht. Würde es auch nie erfahren. Wollte es auch gar nicht wissen.
Großartig, dass sie auf der Station Platz für die Angehörigen hatten. Viele kamen wie sie von weither. Diese Nacht wollte sie noch einmal dort schlafen, dann wollte sie sich um ein anderes Quartier kümmern. Vielleicht in Cecilias Wohnung übernachten, wenn sie nur reinkam.
Sie kroch unter die Decke des schmalen Klappbetts und wusste, dass sie schlecht schlafen würde. Etwas anderes war auch gar nicht denkbar. Es war warm und stickig. Damit konnte sie sich abfinden. Mit den Gedanken auch. Und einstweilen ertrug sie auch noch die Ungewissheit.
Sie brach nicht zusammen, und das war gut.
Ihr Dasein war überschaubarer geworden. Sie bewegte sich langsam zwischen Cecilias Bett, dem Korridor mit den blauen Türen, den Fahrstühlen und der Cafeteria im gar nicht mehr so unpersönlichen Eingangsbereich hin und her. Bald würden die Verkäuferinnen hinter der Cafeteriatheke sie wiedererkennen.
Bisher hatte sie den Block nicht verlassen. Diese kleine Welt war genug für sie. Das Warten gab ihr Sicherheit. Die Zeit war genauso unbeweglich wie Cecilia.
Und es wurde Morgen und es wurde wieder Abend.
Cecilia mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Sie regte sich nicht, egal, wie lange sie neben ihr saß. Nicht einmal die Augenlider zuckten. Betäubt, solange die Schwellung des Gehirns zurückging. Immer dasselbe, wenn sie neben ihrem Bett saß.
Die Schwestern wechselten. Neue kamen.
Die Schläuche machten ihr keine Angst. Auch nicht die Maschinen. Der Respirator, die Mikrodialyse, die Infusomaten. Moderne, avancierte Medizintechnik. Sicher das Beste, was zu haben war, auch international. Sie machte sich keine Sorgen über die Kompetenz der Ärzte, Schwestern und Pflegehelferinnen oder darüber, dass sie nicht ihr Bestes gaben. Sie waren stolz auf ihren Beruf, genau wie sie, und bemühten sich, dass alles so gut wie möglich verlaufen würde. Deswegen hatten sie einen Pflegeberuf gewählt. Sie wollten sich dadurch verwirklichen, dass sie anderen halfen.
Heilen oder trösten und lindern.
Es war, als hätten all diese tüchtigen Frauen Besitz von Cecilia ergriffen. Ihre Tochter war zu einer Arbeitsaufgabe geworden. Zu einem Körper, der
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