Verdacht auf Mord
gewelltes Haar war jetzt abrasiert. Es würde nicht leicht werden, zu dieser Veränderung zu erwachen. Aber das Haar wuchs nach. Schlimmer war es mit eventuellen Folgeschäden, wie es Veronika ausgedrückt hatte. Sichtbaren und unsichtbaren Handicaps. Veronika war zuversichtlich gewesen. Er hatte nicht das Herz gehabt, ihren Optimismus infrage zu stellen. Konnte Cecilia diese schwere Schädelverletzung wirklich ohne bleibende Schäden überstehen?
Er sagte nichts und vermied es herumzuunken. Was wusste er schon? Schließlich kannte sich Veronika mit Medizin aus. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst, alles andere war dann eine positive Überraschung. Aber Veronika war nicht so. Jedenfalls nicht im Augenblick. Außerdem ging es nicht um seine Tochter, und das war kein geringer Unterschied.
Er half, so gut es ging, und deswegen rief er bei der Polizei in Lund an. Es war immer heikel, sich in die Arbeit der Kollegen einzumischen. Er überschlug sich fast vor Verbindlichkeit, als er sich durchstellen ließ. Er nannte seinen Namen und seinen Rang. Nach einigem Hin und Her hatte er endlich einen netten Menschen am Apparat: Kriminalinspektor Gillis Jensen.
»Schwer zu sagen, was eigentlich passiert ist«, meinte Jensen, »aber wir tun, was wir können. Es könnte sich um unprovozierte Gewalt handeln. Wir haben im Augenblick Ärger mit einer Bande, die nachts im Zentrum von Lund Leute mit Baseballschlägern aus Metall niederschlägt. Wir haben bestimmte Verdachtsmomente und versuchen, die Gruppe einzukreisen. Sie sind alle, glauben wir, recht jung und kommen aus einem der Vororte … Sie haben diese Probleme in Oskarshamn vermutlich auch?«
»Nicht so drastisch«, meinte Claesson, aber mehr, um deutlich zu machen, dass er zuhörte.
»Wir haben noch nichts, womit wir Anklage erheben könnten. Schade um diese jungen Leute. Sie fühlen sich vermutlich vollkommen außen vor.«
Vermutlich mussten sie sich darauf einstellen, dass sie den Täter nicht ermitteln würden. Er würde versuchen, Veronika darauf vorzubereiten, dass es niemanden geben würde, den man zur Rechenschaft ziehen konnte. Aber bisher hatten sie noch kaum über den Täter gesprochen, sondern mehr über Cecilias Verletzungen und darüber, was die Neurochirurgen unternommen hatten und weiterhin planten. Wie fähig sie waren, und dass es noch schlimmer hätte kommen können.
Cecilia hätte tot sein können, aber das sprach niemand aus. Alle konzentrierten sich auf das Gegenteil. Jedenfalls lebt sie noch, sagten alle, fast wie ein Mantra.
Vielleicht sollte man auch einmal darüber nachdenken, inwiefern Cecilia den Vorfall mitverschuldet hatte, dachte Claesson, sah aber sofort ein, dass sich das nicht so ohne Weiteres mit Veronika besprechen ließ. Er konnte so denken, schließlich war sie nicht seine Tochter. Vielleicht hatte sich Cecilia irgendwo aufgehalten, wo junge Frauen nichts zu suchen hatten, jedenfalls nicht nachts und nicht allein. Die Stadt ist gefährlich. Allerdings nicht für jeden. In dieser Beziehung existierte keine Gleichberechtigung. Vielleicht war Cecilia auch in schlechte Gesellschaft geraten, wie es so schön hieß. Was wussten sie eigentlich über ihr Leben? Veronika glaubte, einiges zu wissen. Sie telefonierten oft miteinander. Wahrscheinlich häufiger, als er wusste. Er hatte das Gefühl, dass sie ihre Telefonate führten, wenn er nicht zu Hause war.
Er war außen vor und hatte immer versucht, daraus keine große Sache zu machen. Veronika und Cecilia verbanden viele gemeinsame Jahre, über zwanzig, ehe er überhaupt auf der Bildfläche aufgetaucht war. Was konnte er erwarten? Aber er wollte so gerne helfen. Wollte, dass alles gut werden würde.
Das Gefühl, außen vor zu sein, war womöglich jetzt noch stärker, aber das musste er aushalten.
Das Telefon klingelte, als er Klara gerade aus ihrem Kinderstuhl hob. Jemand räusperte sich, wie um sich zu sammeln. Er war nicht ganz bei der Sache, da er seiner Tochter mit dem schnurlosen Telefon hinterherlief. Sie lief mit großen Schritten in die Diele.
»Hier ist Nina Bodén. Ich wohne bei Ihnen in der Straße.«
Claesson suchte in seinem Gedächtnis nach einem Gesicht, wusste aber nicht, wer sie war. Währenddessen tauchte Klara zwischen den Schuhen ab und steckte einen Arm in einen seiner schmutzigen Joggingschuhe, kaute vorerst aber noch nicht darauf herum.
»Entschuldigen Sie die Störung«, fuhr sie fort. Claesson hörte, dass etwas vorgefallen sein musste. Ihre Stimme klang
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