Verdacht auf Mord
kontrolliert werden musste. Zu roten Ziffern auf einem Monitor oder zu den Papierstreifen eines EKGs oder EEGs. Der Gehirndruck unter dem zusammengeflickten Schädelknochen, der Sauerstoffgehalt des Blutes, der Puls, die Urinmenge, Elektrolyte, Säure/Base, Mikrodialyse. Waschen, Umbetten, Massieren, Bewegung von Armen und Beinen, die sonst starr werden würden.
Ein Objekt der Pflege.
Sie war mit ihrer Tochter nie allein. Bisher hatte niemand Fragen über Cecilia gestellt. Niemand kannte sie. Die Schwestern brauchten nicht zu wissen, wer sie war. Die Hände, die sich um die Patientin kümmerten, taten, was sie zu tun hatten, egal, wer gerade in diesem Bett lag.
Veronika trug vorsichtig die Seele ihrer Tochter und wartete darauf, dass sie erwachen würde. Sie war die einzige Verbindung zu Cecilias Identität.
Eine Mutter. Und eine Tochter.
Claes rief an. Sie hatte das Licht ausgemacht, die Jalousie jedoch nicht heruntergelassen. Sie wollte eine Öffnung nach draußen, zum Nachthimmel.
»Morgen um elf erwartet dich Gillis Jensen im Präsidium.«
Sie hatte einen Termin, und das reichte ihr im Augenblick. Es gefiel ihr, Pläne zu machen. An ihnen konnte sie sich festhalten. Schlosser, Bank, Institut für nordische Sprachen, Cecilias ehemalige Mitbewohnerinnen, wie immer die hießen.
Das musste sie herausfinden. Morgen.
Zehnter Stock. Sie schwebte hinaus in den Nachthimmel. Ein Flugzeug blinkte. Landeanflug auf Sturup. Wo es wohl herkam? Vielleicht aus Stockholm.
Dan würde übermorgen eintreffen. Mit einem gewissen Schauder stellte sie das fest. Deswegen konnte sie nicht einschlafen. Vielleicht nicht nur deswegen. Die Sorge machte ihr zu schaffen. Sie warf sich hin und her. Stand schließlich auf und zog ihre Jacke an.
Sie musste noch einmal nachsehen, ob bei Cecilia alles in Ordnung war. Trat in Socken auf den Korridor, in dem das Licht gedämpft war. Die Station hielt Nachtruhe. Sie hörte leise Stimmen und sah ein stärkeres Licht aus dem Intensivzimmer neben Cecilias fallen. Irgendwas war passiert, oder ein neuer Patient war eingeliefert worden, der an die Maschinen angeschlossen werden musste. Vielleicht wurde auch eine Leiche für den letzten Abschied gewaschen. All das stellte sie, weil sie selbst viele Nachtdienste hinter sich hatte, im Vorbeigehen fest.
Die Tür zu Cecilias Zimmer stand offen. Die Nachttischlampe am Kopfende brannte, der Lichtkegel war auf den Respirator gerichtet. Alles andere lag im Halbdunkel. Als sie durch die Tür trat, eilte ein Mann an ihr vorbei. Er drängte sich, als sie eintrat, förmlich aus dem Zimmer. Veronika drehte sich nach ihm um und sah, wie er den Korridor entlangeilte. Ein großer Mann, der sich sehr gerade hielt, große, federnde Schritte machte und leichte Plattfüße hatte. Weiße Hosen, weiße Holzschuhe und Ärztekittel. Er verschwand rasch aus der Station. Die Milchglastür fiel hinter ihm zu.
War etwas mit Cecilia?
Sie drückte die Hand an die Brust, um sich zu beruhigen, und näherte sich ängstlich dem Bett. Die Decke war glatt gezogen, faltenlos. Sie schaute Cecilia ins Gesicht. Der Tubus ragte aus ihrem Mund und war mit einem Schlauch mit dem Respirator verbunden. Nichts war herausgezogen. Alles war angeschlossen. Sie fand, dass Cecilia aussah wie immer. Nein, nicht wie immer, aber so wie sie eben jetzt mit geschlossenen Augen und ohne Muskeltonus aussah.
Sie hörte, dass sich eine Schwester räusperte. Zuckte zusammen. Hatte sie auf der anderen Seite der Fensterwand nicht gesehen.
»Brauchen Sie was?«, fragte sie.
Es war eine von den netten. Sie klang nicht genervt, sondern mitfühlend.
»Nein, ich konnte nur nicht schlafen.«
Veronika wollte sich schon zurückziehen. Sie wollte nicht stören.
»Das ist natürlich nicht leicht für Sie.«
Die Schwester hatte ihre Hände in ihren Kitteltaschen. Vermutlich wollte sie ihr damit bedeuten, dass sie Zeit hatte. Veronika nickte schweigend. Fand es sehr tröstlich, dass die andere da war. Ein Mensch, der sie fragend, fast zärtlich ansah und gelassen abwartete. Ein Gesicht, das sich ihr zuwandte und nicht dem Bett, den Maschinen oder den Infusomaten.
»War irgendwas?«
»Wieso?«, fragte die Schwester und zog erstaunt die Brauen hoch.
»Der Dienst habende Arzt war doch eben da?«
»Nein, soweit ich weiß, war nichts. Sie sehen doch selbst, dass sie gut schläft.«
Sicher, dachte Veronika. Da brauche ich mir keine Sorgen zu machen.
»Wollen Sie eine Schlaftablette? Ich meine, das hier ist doch
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