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Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wahlberg
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Das Wohnhaus war mindestens hundert Jahre alt. Braunroter Ziegel, eine dunkle, nach Süden gerichtete Fassade, die von weißen Fensterrahmen aufgehellt wurde. Rote Sonnenstrahlen funkelten in den Scheiben.
    Warum hatte sie nicht doch ein Fahrrad gemietet? Ihre Beine waren schon vollkommen gefühllos. Sie erwog, den ganzen Weg zum Fahrradverleih am Bahnhof zurückzugehen, hatte dafür aber nicht die Kraft. Außerdem gab es noch einiges zu besorgen. Ein Hotelzimmer. Irgendwo musste sie unterkommen, bis sie Zutritt zu Cecilias Wohnung erhielt.
    Aber konnte sie dann wirklich dort wohnen? Ihr war unbehaglich zumute, als sie die Hauswand hochstarrte. Dies war Cecilias Zuhause. Nicht ihres. Eigentlich war sie gar nicht befugt, sich zwischen den Umzugskartons ihrer Tochter breitzumachen, ohne sie vorher gefragt zu haben. Ihre eigene Mutter hätte in einer entsprechenden Situation nicht gezögert. Unverzagt hätte sie alles nach eigenem Gutdünken geregelt. Sie hätte sich an den Habseligkeiten und Träumen ihrer Tochter vergangen, und hätte dann noch die Frechheit besessen, beleidigt zu sein, wenn nachher etwas geändert oder umgeräumt worden wäre. Sie hätte eher noch Lob erwartet.
    Ihre Mutter hatte es immer nur gut gemeint. Dieser Ausdruck haftete in ihrer Erinnerung. Viele Jahre später hatte Veronika auch begriffen, dass es sich tatsächlich so verhalten hatte, auch wenn es nicht ganz selbstlos gewesen war.
    Sie hatte aber das Gefühl, dass ihr selbst gewisse, weniger vorteilhafte Seiten ihrer Mutter fehlten. Außerdem lebte ihre Mutter nicht mehr.
    Langsam ging sie die Södra Esplanaden Richtung Osten. Sie hielt sich im Schatten der Ulmen, die immer noch grüne, weiche Blätter hatten, und bog dann in die Bankgatan zum Mårtenstorget ein.
    Sie schob die Bilder von sich. Der Schlag. Der Schmerz. Hatte sie noch Gelegenheit gehabt, zu schreien? Hatte sie das Gesicht des Bösen gesehen? Und dann ihr Körper, der schwer auf dem rauen, nasskalten Asphalt aufgetroffen war. Bewusstlos und schutzlos.
    Und wenn niemand vorbeigekommen wäre?
    Der Schmerz, der sie durchfuhr, war so schrecklich, dass sie stehen bleiben und die Augen zusammenkneifen musste, bis er ausebbte.
    Ein Junge, mager wie ein Windhund, dessen türkisfarbenes Haar in alle Richtungen abstand, wich mit einem Satz gerade noch einem vorbeirasenden Bus aus und landete vor ihr auf dem Bürgersteig. Ein schwerer, mit Nieten und Ketten besetzter Gürtel um seine Hüfte rasselte. Seine Freundin eilte ihm hinterher, wobei ihr wogender Busen fast aus dem Dekolleté rutschte. Sie trug einen ultrakurzen rosa Rock mit weißen Punkten, der fast über ihren Slip hochrutschte, als sie sich vorbeugte, um einen Kuss in Empfang zu nehmen. Sie erinnerten an zwei bunte Papageien. Als Veronika an ihnen vorbeiging, schien er ihr gerade seine Zunge tief in den Hals schieben zu wollen.
    Das geht ja richtig gut, dachte sie, ohne dass sie würgen muss.
    Mit einem Mal wurde sie munter, sah sich verwirrt um. Alle Studenten waren nun zum Semesterbeginn in die Universitätsstadt zurückgekehrt. Die Aufregung vibrierte in der ungewöhnlichen Septemberwärme, die wie ein dichter honiggelber Schleier über allem lag. Junge Menschen, deren Träume sich noch nicht zerschlagen hatten, dachte sie. Sie erinnerte sich an ihre Studienzeit, als ihre Neugier noch ungebändigt gewesen war, und die Reise in die Welt der schweren Folianten, der Kompendien und der unleserlichen Vorlesungsmitschriften ein Ziel und einen Sinn gehabt hatten. Unzählige Stunden hatte sie in schlechter Luft und bei ständigem Stühlescharren in der Bibliothek für ihr Examen gebüffelt und nachts zu viele Tassen Kaffee getrunken, bis sie fürchterliches Sodbrennen, fürchterliche Kopfschmerzen bekommen und ihre Hände wegen einer Koffeinvergiftung gezittert hatten. Dann nach der Klausur oder mündlichen Prüfung die große Erleichterung.
    Es war kurz vor zwei. Der Verkehr nahm zu. Ein Bauerndorf, aus dem eine Gelehrtenstadt, ein Bischofssitz und ein Zentrum medizinischer Versorgung geworden war. Auch das Leben außerhalb der akademischen Welt hatte einiges zu bieten, das wusste sie. Verpackungshersteller, Arzneimittelindustrie und expandierende Hightech-Unternehmen. Cecilia hatte einmal einen Sommerjob als Putzhilfe bei Tetra Pak gehabt. Das war jetzt schon zwei Jahre her. Vor ihrer Vertretungsstelle als Journalistin.
    Wieso hatte sie das nur gesteckt? Das war ein Fehler gewesen.
    Ihre Gedanken nahmen auf einmal eine

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