Verdacht auf Mord
mütterliche und bevormundende Wendung. Wie würde sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, wenn sie jetzt längere Zeit ausfiel? Ihre neue Arbeit hatte Cecilia noch gar nicht angetreten, die Hälfte ihres Unterhalts hatte sie auch mit Studiengeld bestreiten wollen. Etliche Fragen harrten einer Lösung. Wem musste Veronika eigentlich mitteilen, dass Cecilia im Krankenhaus lag? Sie musste bei der staatlichen Versicherung und bei der Fördermittelstelle anrufen. Vielleicht auch beim Sozialamt? Bei dem Gedanken an alle Telefonate, die in diesem bürokratischen Wirrwarr nötig waren, fühlte sie sich gleich ganz erschöpft. Aber vielleicht gab es ja in der Klinik einen Sozialarbeiter, der ihr beistehen konnte?
Alle mussten mithelfen. Sie selbst, Claes und vielleicht auch Dan, Cecilias Vater. Es würde schon gehen. Sie verdiente zwar gut, hatte aber auch gerade ein Haus gekauft und hohe Schulden. Dan hatte ihrer Meinung nach Cecilia gegenüber immer ziemlich geknausert. Vielleicht hatte ja auch die neue Frau dahintergesteckt. Er hatte immer auf Veronikas Statusberuf hingewiesen. Du hast doch verdammt noch mal genug Geld, mit deinem Ärztegehalt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, den Kürzeren zu ziehen. Vernünftige Gespräche waren unmöglich gewesen. Sie hatte also die Achseln gezuckt. Es gab Leute, die schlechter dran waren. Allein stehende Frauen mit niedrigen Löhnen, die trotzdem ihren Stolz hatten. Also war sie zurechtgekommen.
Das kriegen wir schon hin, wenn Cecilia bloß wieder gesund wird, dachte sie. Alles andere ist egal.
Sie eilte an einer Reihe niedriger Häuser in weiß, gelb und rosa am Busbahnhof vorbei. In einem Fachwerkhaus lag ein Hotel, das einladend wirkte. Es zog sie irgendwie an, und eine Viertelstunde später hatte sie ein gemütliches Zimmer mit Blümchentapete, lila Bettüberwurf und gleichfarbigem Sessel reserviert. Jetzt hatte sie zumindest eine vorübergehende Unterkunft gefunden, und setzte ihren Weg Richtung Norden fort. Sie wollte zurück ins Lazarett. So nannte man das sowohl hier als zu Hause.
Ihre Tochter liegt also im Lazarett!
Die Bezeichnungen änderten sich dauernd. Obwohl sie ja selbst Provinzärztin war, musste sie immer auf einer Liste nachsehen, wie die jeweiligen Krankenhäuser hießen, wenn sie Briefe an Kollegen schrieb. Avesta, Lycksele und Enköping hatten ein Lazarett. Gällivare, Norrtälje und Oskarshamn ein Krankenhaus. So weit war alles recht einfach. Aber das Vrinnevi Krankenhaus lag in Norrköping und Ryhov in Jönköping, und das musste man einfach im Kopf haben. Oder eben nachschlagen.
Oskarshamn, ihr eigener Arbeitsplatz, schrumpfte nach diversen Fusionen immer mehr. Auch die Nothilfe sollte weiter abgebaut werden. Dadurch ließ sich Geld sparen. Die Veränderungen waren jetzt schon seit langem im Gange. Manchmal waren sie recht undurchdacht. Sie hatte schon keine Lust mehr, über die Zukunft nachzudenken oder nach Argumenten für und gegen diese oder jene Lösung zu suchen. Die Zukunft ließ sich ja doch nicht realistisch vorhersehen.
Sie stand vor der Markthalle am Mårtenstorget. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, ein stetiges Pochen in den Schläfen. Sie legte die Hand über die Augen und betrachtete die essenden und trinkenden Gäste der Straßencafés.
Dort hätte auch gut Cecilia sitzen und herumalbern können. Die Ungewissheit beschwerte sie wie Blei. Sie holte ein paar Mal tief, aber kraftlos Luft, strich die Haare hinter die Ohren und überlegte, ob sie wohl etwas zu sich nehmen sollte. Ihr Magen war vermutlich leer, aber seit sie sich in Lund befand, verspürte sie keinen Hunger mehr. Also ging sie einfach weiter, allerdings langsamer. Ihre Füße schmerzten. Die Schuhsohlen waren zu dünn.
Die Einsamkeit drohte sie zu ersticken. Das Weinen saß ihr wie ein Kloß im Hals. Ihre Augen brannten, waren aber trocken.
Sie hatte niemanden, mit dem sie ihre Last richtig hätte teilen können. Claes tat sein Möglichstes. Zumindest war er für sie da. Es hatte eine Weile gedauert, bis das Eis zwischen ihm und Cecilia gebrochen war. Bei der Hochzeit schien es dann endgültig geschmolzen zu sein. Glücklicherweise!
Diese sinnlose Eifersucht. Diese ewige Angst, nicht die wichtigste Person zu sein. Dabei hatte sie ja Platz für alle beide. Unterschiedliche Plätze, aber gleichermaßen nahe. Der Platz eines Kindes direkt am Herzen seiner Mutter kann nie von einer anderen Person eingenommen werden.
Dan würde am folgenden Tag eintreffen. Er hatte ihr eine SMS
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