Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
nachdenken. Also am 10. März.« Ishigami richtete seinen Blick kurz in die Ferne und sah dann wieder Kusanagi an. »Ich glaube, ich bin direkt nach Hause gegangen und war gegen sieben Uhr hier.«
»Ist an diesem Abend nebenan etwas Ungewöhnliches vorgefallen?«
»Nebenan?«
»Ja, bei Frau Hanaoka?« Kusanagi senkte die Stimme.
»Ist Frau Hanaoka etwas zugestoßen?«
»Nein, wie gesagt, wir sammeln nur Informationen.«
Ein nachdenklicher Ausdruck trat auf Ishigamis Gesicht. Wahrscheinlich überlegte er, was mit Mutter und Tochter von nebenan passiert sein konnte. Kusanagi vermutete, dass er unverheiratet war, zumindest erweckte seine Wohnung den Anschein.
»Ich kann mich an nichts Außergewöhnliches erinnern«, antwortete Ishigami.
»Keine lauten Geräusche oder Stimmen?«
»Also«, Ishigami kratzte sich am Hals. »Nein, da fällt mir nichts ein.«
»Gut. Sind Sie näher bekannt mit Frau Hanaoka?«
»Wir sind Nachbarn, also begegnen wir uns hin und wieder. Dann grüßen wir uns. Mehr nicht.«
»Ich verstehe. Danke, und entschuldigen Sie die Störung.«
»Macht gar nichts.« Ishigami nickte und griff nach dem Briefkasten an der Innenseite der Tür. Erstaunt nahm der Kommissar zur Kenntnis, dass auf einem der Briefe als Absender »Kaiserliche Universität« stand.
Kusanagi räusperte sich unsicher. »Sie sind Absolvent der Kaiserlichen Universität?«
»Wie bitte?« Ishigamis schmale Augen weiteten sich. Dann schien auch er die Adresse auf dem Brief in seiner Hand zu bemerken. »Ah, deshalb. Das ist sicher eine Einladung zu einem Ehemaligentreffen. Hat das etwas mit Ihrer Untersuchung zu tun?«
»Nein, nur ein Freund von mir war auch dort.«
»Ach so.«
»Entschuldigen Sie nochmals die Störung.« Kusanagi verbeugte sich knapp, und die Kommissare entfernten sich.
»Waren Sie nicht auch auf der Kaiserlichen Universität? Warum haben Sie das nicht gesagt?«, fragte Kishitani abrupt, als sie das Mietshaus verlassen hatten.
»Aus keinem bestimmten Grund. Es war mir nur unangenehm. Der Typ hat bestimmt am Fachbereich Naturwissenschaften studiert.«
»In der Hinsicht haben Sie einen Komplex, Chef, was?« Kishitani grinste.
»Ich bekomme es ja auch unentwegt unter die Nase gerieben.« Kusanagi dachte an seinen Freund Manabu Yukawa.
Nachdem die Kommissare fort waren, wartete Ishigami über 20 Minuten, bis er die Wohnung verließ. Er vergewisserte sich, dass in der Wohnung 204 Licht brannte, und ging die Treppe hinunter.
Zum nächsten, unauffällig gelegenen Telefonhäuschen waren es etwa zehn Minuten zu Fuß. Ishigami besaß zwar ein Mobiltelefon und einen Festnetzanschluss in seiner Wohnung, aber keins von beidem wollte er benutzen. Unterwegs ließ er sich das Gespräch mit den Beamten noch einmal durch den Kopf gehen. Nein, er hatte ihnen nicht den geringsten Anhaltspunkt gegeben, dass er irgendetwas mit der Tat zu tun hatte. Andererseits war den Kommissaren sicherlich klar, dass die Leiche nicht ohne männliche Hilfe beseitigt worden sein konnte. Sie mussten nur genügend verzweifelt sein, um in Yasuko Hanaokas Umfeld nach einem Mann zu suchen, der bereit war, sich für sie die Hände schmutzig zu machen. Dann würde die Polizei vielleicht nur aus dem Grund, dass er ihr Nachbar war, auch den Mathematiklehrer Ishigami ins Visier nehmen.
Er musste es vermeiden, ihre Wohnung zu betreten und direkt mit ihr Verbindung aufzunehmen. Wenn er Yasuko Hanaoka von zu Hause anriefe, so fürchtete er, könnte die Polizei durch eine Anrufliste davon erfahren.
Aber was war mit dem
Benten-tei
? Er hatte sich noch nicht entschieden. Normalerweise wäre es besser, den Imbiss eine Weile nicht aufzusuchen. Aber wahrscheinlich würde die Polizei auch dort Nachforschungen anstellen. Die Betreiber würden erzählen, dass der Mathematiklehrer, der neben Yasuko Hanaoka wohnte, jeden Tag sein Mittagessen bei ihnen kaufte. Würde man es in diesem Fall nicht merkwürdig finden, wenn er nach dem Mord plötzlich nicht mehr auftauchte?Wäre es nicht unverdächtiger, sich so zu verhalten wie bisher? In diesem Punkt traute Ishigami sich selbst nicht über den Weg. War er wirklich imstande, diese Fragen nach rein logischen Kriterien zu beantworten? Er wusste genau, dass er im Inneren nichts lieber wollte, als weiter jeden Tag sein Mittagessen im
Benten-tei
zu kaufen. Der Laden war der einzige Bezugspunkt zwischen ihm und Yasuko Hanaoka. Ohne seine regelmäßigen Besuche dort würde er sie nicht mehr sehen.
Im Telefonhäuschen
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