Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
Kudo noch einmal Revue passieren. Natürlich musste er dessen Alibi noch überprüfen, aber er hatte sich bereits ein Urteil gebildet.
Der Mann war unschuldig. Er sagte die Wahrheit.
Er war tatsächlich in Yasuko Hanaoka verliebt. Und wie er gesagt hatte, bestand durchaus die Möglichkeit, dass auch andere Männer sich um sie bemühen könnten.
Das Tor zur Kaiserlichen Universität war geschlossen. Es brannten noch einige Lichter, so dass es nicht ganz dunkel war, dennoch hatte das nächtliche Gebäude etwas Unheimliches. Kusanagi ging durch einen Seiteneingang und meldete sich in der Pförtnerloge an. »Ich bin mit Professor Yukawa im Physiklabor 13 verabredet«, erklärte er dem Wachmann, obwohl das genaugenommen nicht zutraf.
Die Gänge im Fachbereich Naturwissenschaften waren leer, aber unter den Türen mehrerer Räume schien Licht hervor. Offenbar arbeiteten noch einige Professoren und Studenten zu später Stunde an ihren Projekten. Yukawa hatte ihm erzählt, dass er manchmal die ganze Nacht im Labor verbrachte.
Kusanagi hatte schon, bevor er Kudo aufsuchte, beschlossen, anschließend bei Yukawa vorbeizuschauen. Die Universität lag auf dem Weg, und er wollte seinen Freund fragen, was er im
Benten-tei
gewollt hatte, und in welcher Beziehung er zu seinem alten Studienkollegen, dem Mathematiklehrer Ishigami, stand. Und warum hatte er ihm, falls er etwas über den Mord herausgefunden hatte, nichts davon gesagt? Aber vielleicht hatte Yukawa auch nur eine alte Bekanntschaft wiederaufleben lassen, und sein Besuch im
Benten-tei
war bedeutungslos. Bisher hatte sein Freund immer davon Abstandgenommen, sich in ungelöste Fälle einzumischen, solange es nicht unbedingt notwendig war. Nicht weil es ihm lästig war, wie er immer behauptete, sondern aus Respekt vor den polizeilichen Ermittlungen.
An der Tür von Labor 13 hing ein Plan, auf dem stand, welche Studenten, Doktoranden und Professoren anwesend waren. Der Eintragung zufolge war Yukawa »abwesend«. Kusanagi schnalzte enttäuscht mit der Zunge. Wahrscheinlich war er nach Dienstschluss gleich nach Hause gegangen. Dennoch klopfte Kusanagi. Laut Plan befanden sich zwei Doktoranden im Labor.
»Herein!«, rief eine kräftige Stimme, und der Kommissar öffnete die Tür. Aus dem hinteren Teil des Labors kam ein junger Mann mit Brille und in einem Sweatshirt. Kusanagi kannte ihn vom Sehen.
»Yukawa ist wohl schon gegangen?«
Der junge Mann machte ein bedauerndes Gesicht. »Ja, eben erst. Möchten Sie seine Handynummer?«
»Nein, danke, die habe ich. Es ist nichts Besonderes, ich war nur gerade in der Nähe.«
»Verstehe«, sagte der junge Mann und lächelte. Anscheinend wusste er, dass Kommissar Kusanagi ab und zu bei Yukawa vorbeischaute.
»Ich dachte, er arbeitet vielleicht länger.«
»Normalerweise macht er das auch, aber die letzten zwei, drei Tage ist er früher gegangen. Auch heute musste er irgendwohin.«
»Ach? Wohin denn?«, fragte Kusanagi. Vielleicht besuchte er ja wieder den Mathematiklehrer.
Aber dann sagte der Student etwas Unerwartetes. »Ich weiß nicht genau. Er hat etwas von Shinozaki gesagt.«
»Shinozaki?«
»Ja, er hat gefragt, wie man am schnellsten zum Bahnhof Shinozaki kommt.«
»Aber er hat nicht gesagt, was er dort vorhat?«
»Nein, obwohl ich ihn gefragt habe.«
»Hm«, machte Kusanagi. Er bedankte sich und verließ das Labor. Etwas beunruhigt fragte er sich, was Yukawa in Shinozaki wollte. Es war der Bahnhof, der dem Tatort am nächsten lag.
Auf dem Weg nach draußen nahm Kusanagi sein Handy aus der Tasche, um Yukawa anzurufen, brach aber mittendrin ab. Wenn Yukawa den Fall verfolgte, ohne dass Kusanagi ihn um Rat gebeten hatte, hatte er zweifellos eine Idee. Wahrscheinlich dachte er, es schade nichts, wenn er so ganz nebenbei ein bisschen herumschnüffelte.
Seufzend korrigierte Ishigami die Nachprüfung. Die Arbeit war katastrophal ausgefallen. Die Aufgaben waren noch einfacher gewesen als in der vorherigen, aber kaum jemand hatte eine richtige Lösung zustande gebracht. Leider war es die Politik der Schule, möglichst alle Schüler zu versetzen, unabhängig davon, wie schlecht ihre Leistungen waren. Selbst in Fällen, wo eine Versetzung eigentlich gar nicht in Frage kam, drückte man beide Augen zu.
Ishigami war der Ansicht, man sollte das Fach Mathematik ehrlicherweise als Kriterium für die Bewertung streichen. Ohnehin gab es auf der Welt nur eine Handvoll Menschen mit mathematischem Verständnis. Im Grunde war es
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