Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
Das spürte er. Der Physikprofessor hatte Kusanagi und seiner Abteilung schon so oft geholfen. Vielleicht konnte er ihnen auch diesmal einen nützlichen Hinweis geben. Aber warum sagte er nichts? Kusanagi räumte die Zeitungen zusammen und rief die Bibliothekarin.
»Haben sie Ihnen etwas genützt?«, fragte sie etwas unsicher.
»Ja, vielen Dank«, erwiderte Kusanagi unverbindlich.
»Übrigens«, sagte die Bibliothekarin, als er sich schon zum Gehen wandte, »Professor Yukawa hat sich auch nach den Lokalzeitungen erkundigt.«
»Ach ja?« Kusanagi drehte sich noch einmal um. »Welchen denn?«
»Aus Chiba oder Saitama. Aber leider haben wir die nicht.«
»Hat er sonst noch etwas gefragt?«
»Nein, das war alles, glaube ich.«
»Chiba und Saitama …«, murmelte Kusanagi entgeistert, als er die Bibliothek verließ. Jetzt hatte er überhaupt keine Ahnung, was Yukawa sich dachte. Wozu brauchte er Zeitungen aus Chiba oder Saitama? Vielleicht hatte er doch nicht in dem Mordfall recherchiert.
Er war gerade eingestiegen und dabei, den Motor anzulassen, als Manabu Yukawa mit nachdenklicher Miene vor ihm über den Hof auf das Tor zuschritt. Statt seines weißen Kittels trug er eine dunkelblaue Jacke. Kusanagi wartete, bis Yukawahinter dem Tor links abgebogen war. Er ließ den Wagen an, um ihm langsam zu folgen, und sah gerade noch, wie sein Freund in ein Taxi stieg. Kusanagi und das Taxi fädelten sich beinahe gleichzeitig in den Verkehr ein.
Yukawa war ledig und verbrachte den größten Teil des Tages an der Universität. Er hatte Kusanagi erklärt, dass er zu Hause nichts zu tun habe, und es bequemer für ihn sei, an der Universität zu lesen oder Sport zu treiben. Und ums Essen brauchte er sich dann auch nicht zu kümmern. Kusanagi warf einen Blick auf die Uhr. Es war noch nicht einmal fünf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Freund schon nach Hause ging. Während er dem Taxi folgte, merkte Kusanagi sich den Namen des Unternehmens und das Nummernschild, damit er, falls er den Wagen aus den Augen verlöre, herausfinden konnte, wo Yukawa aussteigen würde. Das Taxi fuhr in östliche Richtung. Es herrschte reger Verkehr, und einige Wagen drängten sich zwischen Kusanagi und das Taxi, aber glücklicherweise wurde er an keiner Ampel abgehängt. Bald erreichten sie Nihonbashi, und das Taxi hielt an der Shin-Ohashi-Brücke, ohne den Sumida zu überqueren. Auf der anderen Seite lag Ishigamis Wohnung.
Kusanagi fuhr an den Straßenrand und ließ das Taxi nicht aus den Augen. Yukawa stieg aus und ging die Treppe an der Brücke hinunter. Auf dem Weg zu Ishigamis Wohnung war er anscheinend nicht.
Kusanagi sah sich rasch nach einem Parkplatz um. Er hatte Glück, und an einer Parkuhr war etwas frei. Er ließ den Wagen stehen und lief Yukawa hinterher. Sein Freund schlenderte langsam flussabwärts am Ufer des Sumida entlang. Er schien kein bestimmtes Ziel zu haben. Vielleicht machte er nur einen Spaziergang. Hin und wieder warf er einen Blickauf die Obdachlosen, die dort lagerten, blieb jedoch erst stehen, als ihre Hütten hinter ihm lagen. Er stützte die Ellbogen auf das Geländer am Flussufer. Plötzlich drehte er das Gesicht in Kusanagis Richtung. Dieser stutzte ein wenig, während Yukawa nicht im geringsten überrascht schien. Er lächelte sogar ein bisschen. Offenbar hatte er längst bemerkt, dass Kusanagi ihm folgte.
Der Kommissar trat auf ihn zu. »Du hast mich entdeckt?«
»Dein Auto ist ziemlich auffällig«, sagte Yukawa. »Einen so alten Skyline sieht man heutzutage nur selten.«
»Bist du hier ausgestiegen, weil ich dir gefolgt bin? Oder wolltest du hierher?«
»Sowohl als auch. Mein ursprüngliches Ziel liegt ein bisschen weiter entfernt. Aber als ich deinen Wagen sah, habe ich es vorverlegt, weil ich dich hierherführen wollte.«
»Hierher? Warum denn?«, fragte Kusanagi mit einem raschen Blick auf die Umgebung.
»Hier habe ich mich das letzte Mal mit Ishigami unterhalten. Ich sagte ihm, es gäbe auf der Welt kein nutzloses Zahnrad, und jedes Zahnrad habe das Recht, über seinen Gebrauch zu entscheiden.«
»Wieso Zahnrad?«
»Anschließend habe ich ihm alle möglichen Fragen über den Mord gestellt. Er hat geschwiegen, aber nachdem wir uns getrennt hatten, hat er sie auf seine Weise beantwortet. Er hat sich gestellt.«
»Du meinst, er hat aufgegeben, nachdem er gehört hat, was du ihm zu sagen hattest?«
»Aufgegeben … ja, so könnte man es ausdrücken. Für ihn war es eher so etwas, wie sein
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