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Verdammt feurig

Verdammt feurig

Titel: Verdammt feurig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Platz. Denn sie hatte ein kleines Nebenzimmer, in dem meistens irgendjemand aus der Familie saß und etwas aß oder Hausaufgaben machte oder malte oder spielte. Und wenn ich Glück hatte, saß jetzt Guiseppe da. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um durch den Dampf, der aus all den Kesseln und Töpfen stieg, etwas erkennen zu können. Doch ehe ich irgendwen sehen konnte, hatte Seppos Vater mich gepackt und durch die Luft gewirbelt. Bei Seppos Papa guckten tatsächlich schwarze Haare aus dem Hemdkragen.
    »Lucia! Wo sinde Mama unde Papa?«
    »Weg«, sagte ich und bemühte mich, einen durchweg trostlosen Eindruck zu machen. »Bei irgendwelchen anderen Bestattern zu Besuch. Ein gemeinsames Abendessen. Ich durfte nicht mit. Und ich hab solchen Hunger.«
    »Ooooooh!«, riefen Herr und Frau Lombardi gleichzeitig betroffen und schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich mit einem Teller voll dampfenden Spaghetti in Lombardis Privatküchennische saß und von Seppos Mutter gehätschelt und getätschelt wurde.
    »Arme Bambina«, sagte sie immer wieder. »So viel Tod nicht gut für Kinder. Eltern immer weg, immer arbeiten. Nichts zu essen. Arme Bambina.«
    Ich nickte ihr mit vollem Mund zu und beeilte mich zu schlucken, denn wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich eben neben dem Pizzaofen Seppos schwarzen Lockenkopf gesehen. Mein Herz schlug schneller und plötzlich hatte ich kaum mehr Appetit. Ja, das musste Seppo gewesen sein … Bisher waren mir immer nur seine Geschwister begegnet. Aber wenn Seppo hier war, dann …
    »Hey, Luzie.« Da war er ja!
    »Hey«, mümmelte ich und schob schnell die Spaghetti zurück, die aus meinem Mundwinkel hing. Ich würgte den Nudelkloß in meinem Hals hinunter, doch der war größer, als ich gedacht hatte. Hustend griff ich nach meiner Cola.
    »Piano, Lucia, piano«, ermahnte mich Frau Lombardi. »Ist genug da für alle. In diesem Haus muss niemand hungern!«
    »Alles klar?«, fragte Seppo. Er trug eine Schürze und seine Arme waren weiß von Mehlstaub. Aber seine dunklen Augen blitzten. »Ich muss wieder rüber zum Ofen, viele Gäste da heute. Wir sehen uns ja an Silvester. Ihr kommt doch, oder?«
    Ich nickte nur. Ich konnte auf einmal nichts mehr sagen. Und ich konnte doch eigentlich immer irgendetwas sagen. Vor allem aber hatte ich Seppo zusammenstauchen wollen, weil er versucht hatte, mich aus der Gruppe auszuschließen. Denn er hatte sich immer noch nicht richtig bei mir entschuldigt. Ja, ich hatte mir bitterste Vorwürfe zurechtgelegt, und wenn das nicht geholfen hätte, hätte ich ihn an seinen Ohrläppchen gezogen. Das half eigentlich immer, denn Seppo hatte extrem empfindliche Ohrläppchen.
    Und jetzt saß ich nur kauend da und glotzte ihn an. Nein, mein Geschenk würde er immer noch nicht kriegen. Er hatte es nicht verdient. Und Hunger hatte ich auch keinen mehr.
    Neidisch schaute ich die anderen Gäste an, als ich mich mit einer Packung italienischem Weihnachtskuchen durch das volle Restaurant schob, denn sie konnten Seppo die ganze Zeit dabei zusehen, wie er in der offenen Küche stand und blitzschnell den Pizzateig durch die Luft wirbelte.
    Leander erwartete mich vor der Haustür. Er war unübersehbar sauer. Stinksauer.
    »Wieso haust du einfach ab? Was sollte das, he?«
    »Du bist mein Schutzengel und du hast mir zu folgen, wenn ich weggehe!«
    Leander biss vor Wut die Zähne zusammen, bis sie knirschten.
    »Du warst bei diesem haarigen Affen. Stimmt’s? Hab ich recht?«
    Ich sagte nichts, sondern schlüpfte an ihm vorbei in den Hauseingang und nahm die Treppe nach oben. Ich knallte die Wohnungstür zu, bevor Leander mir folgen konnte. Pech gehabt. Im Treppenhaus war er mir so nah, dass er einen Körper hatte und nicht wie früher durch Mauern fliegen konnte. Er musste warten, bis ich ihn hereinließ.
    Im Flur riss ich die Stumpenkerze aus dem blöden Holzengel, zündete sie mit dem letzten verbliebenen Streichholz an und brachte mit ihrer Flamme sämtliche Kerzen und Teelichter, die ich fand, zum Brennen. Und das waren viele. Zum Schluss entzündete ich all die Bienenwachskerzen, die Mama gestern auf den Tannenbaum gesteckt hatte. Ich musste auf das Bücherregal klettern, um überall dranzukommen, und stürzte beinahe samt Baum zu Boden. Erst im letzten Moment konnte ich abspringen. Ich knickte mir den Knöchel um, war aber so wütend, dass ich den Schmerz gar nicht bemerkte. Ich war wütend auf Seppo, auf Leander sowieso und

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