Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
gehören praktisch alle bisher gebauten Schlachtschiffe und Panzerkreuzer, auch die der Royal Navy, zum alten Eisen.
So kommt es, daß jede Nation, die eine nennenswerte Kriegsmarine unterhält, sich in der Folge gezwungen sah und sieht, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Und als schließlich mit der Nassau der erste deutsche Dreadnought in Dienst gestellt wurde, am 1. Oktober 1909 war das, war ein maritimes Wettrüsten zwischen England und Deutschland nicht mehr aufzuhalten.«
Seiler ist fertig mit seinem Vortrag, nimmt einen großen Schluck aus seinem Bierglas, und da Peterman weiter schweigt und raucht, will er noch etwas Versöhnliches ergänzen. Der deutsche Botschafter Paul Graf Wolff Metternich zur Gracht, seit 1903 in London, setze sich, Gott sei Dank, für eine Verständigung mit England ein und fordere vehement, den Ausbau der deutschen Hochseeflotte einzuschränken, um die beschädigten Beziehungen zu England nicht weiter zu gefährden.
» Ich bin geneigt, ihm recht zu geben«, sagt Peterman nachdenklich, » aber zugleich höre ich von meinen Kunden aus der Admiralität, daß das Anwachsen der deutschen Flotte in britischen Marinekreisen und auch in der Politik nicht die geringste Beunruhigung auslöst. Allein für die englische Presse, und damit den Großteil der Bevölkerung, bedeutet dies aber den drohenden Untergang des Empire. Hier haben diese germanophoben Romane von Le Queux den Boden bereitet. Ich glaube, Home Secretary Churchill unterstützt mit Hilfe der Presse diese Ängste aus innenpolitischen Gründen nach Kräften. Dahinter steckt, wie gesagt, die Werft- und Rüstungsindustrie.« Er schüttelt den Kopf: » Über vierzig Millionen Pfund hat England allein im vergangenen Jahr für Marinerüstung ausgegeben. Eine schier unvorstellbare Summe! Die Hälfte davon hätte ausgereicht, die gröbste Armut im Königreich zu beseitigen.«
Peterman pafft ein paarmal ärgerlich an seiner Zigarre, aber er ist noch nicht fertig: Großadmiral Tirpitz, dem er offensichtlich einigen Respekt zollt, habe wiederholt geäußert, die Hochseeflotte solle nicht als Rivale, sondern als Abschreckung gegen England dienen. Im Fall eines Krieges mit Frankreich oder Rußland oder beiden solle ein Angriff auf die deutschen Küsten für die Royal Navy zu riskant werden. Das, findet Peterman, sei eine defensive Strategie und als solche durchaus verständlich.
» Eine Bedrohung für Großbritannien kann von der deutschen Flotte nicht ausgehen«, fährt der Buchhändler fort, » denn sie scheint mir allein für die Nordsee gebaut. Das Überleben Englands steht aber erst dann auf dem Spiel, wenn seine überseeischen Verbindungen bedroht sind, die Seewege nach Indien, Amerika und so weiter. Die deutsche Hochseeflotte, die ja, von Tsingtau abgesehen, über keine Stützpunkte im Ausland verfügt, ist doch außerstande, unsere Seewege wirklich zu bedrohen. Und auch eine Invasion Englands, wie sie immer wieder als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird, könnte die Hochseeflotte nicht gewaltsam durchsetzen, denn dem steht unsere weit überlegene Grand Fleet entgegen. Und selbst wenn die Deutschen diese vernichtend schlagen würden, was aus Sicht unserer Marine undenkbar ist, könnten wir immer noch unsere über den ganzen Globus verstreuten Seestreitkräfte in die Heimatgewässer beordern. Obendrein müßten eure Befehlshaber befürchten, daß ihnen die russische und die französische Flotte in den Rücken fallen.«
Seiler staunt, wie gut Peterman sich in diesen Dingen auskennt. Kein Wunder, denkt er, schließlich hat Peterman nicht nur unzählige Bücher zu diesem Thema im Laden, sondern kann sich auch tagtäglich mit englischen Marineoffizieren unterhalten. Deshalb hat wohl auch der englische Geheimdienst ein Auge auf ihn geworfen.
Kiel, Hauptbahnhof, 28. Juni 1912, Freitag
Drummond steht im Kieler Hauptbahnhof und sieht zu, wie sich Peterman von seiner Tochter verabschiedet. Auch Seiler ist da, wie immer in Uniform. Drummond weiß inzwischen, daß deutsche Offiziere immer Uniform tragen müssen, anders als in England, wo sie nur im Dienst getragen wird. Auf dem Gleis wartet der Schnellzug nach Berlin auf sein Abfahrtssignal, in ein paar Minuten wird es soweit sein.
Er und Melville waren bereits wieder gegen sieben Uhr morgens in Heikendorf angekommen und hatten Seiler, Peterman und seine Tochter beim Frühstück im Freien vorgefunden. Also hatten sie in der Nähe Platz genommen und Kaffee bestellt. Eine halbe Stunde
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