Verdeckt
Räumlichkeiten posaunten den Erfolg der Firma nicht lautstark hinaus – sie raunten nur leise. Selbst Ray hatte es für dreißig Sekunden die Sprache verschlagen. Mit offenem Mund sah er sich um, während sie darauf warteten, dass Jack Harper ihnen ein paar Minuten seiner wertvollen Zeit widmete.
Schon die Aussicht war atemberaubend. Mit dem Cowboyhut in den Händen sah Mason aus den Ostfenstern des Konferenzzimmers und fragte sich, ob Harper dem Mount Hood befohlen hatte, für seine Gäste zu posieren. Wie aus Kristall geformt erhob sich der eisige Gipfel stolz hinter der Stadt. Beim Anblick des klaren blauen Himmels glaubte man kaum, dass die Temperatur draußen deutlich unter dem Gefrierpunkt lag.
Harper öffnete die Tür. »Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Was kann ich für Sie tun? Rückt die Hausverwaltung in Lakefield alles heraus, was Sie für die Ermittlungen brauchen?« Noch während er redete, schüttelte er die Hände beider Männer, ging um den Tisch und schenkte drei Tassen Kaffee ein – und das alles, ohne dabei nervös zu erscheinen. Der Mann dominierte einen Raum allein, indem er ihn betrat.
Effizient
war das Wort, das Mason spontan dazu einfiel. Und
selbstbewusst
. Er nahm die Kaffeetasse entgegen, musterte Jack Harper und musste sich widerwillig eingestehen, dass ihm gefiel, was er sah. Der direkte Blick des Mannes wirkte aufrichtig, seine Ausstrahlung war freundlich, aber nicht anbiedernd.
Mason und Ray hatten sich alle Mühe gegeben, sämtliche Winkel von Harpers Vergangenheit auszuleuchten. Jeder, mit dem sie sprachen, lobte ihn in den höchsten Tönen. Von ein paar Exfreundinnen abgesehen, was aber kaum verwunderlich war. Etwas beunruhigend war allerdings, dass sie unter jedem Stein, den sie umdrehten, jeweils eine weitere Verbindung zwischen Harper und DeCosta oder Harper und einem anderen Aspekt des Falles entdeckten, der immer komplexer wurde.
Selbst wenn das nicht automatisch bedeutete, dass Harper etwas mit den Verbrechen zu tun hatte, mussten sie ihm auf den Zahn fühlen.
Den Anfang machte Ray. »Der Hausverwalter ist sehr kooperativ. Ich glaube, er will auf keinen Fall Krach mit Ihnen. Jedenfalls liest er uns jeden Wunsch von den Augen ab.« Ray schnaubte. »Er hat mir sogar einen guten Deal für die Reparatur der Beule in meinem hinteren Kotflügel angeboten.«
Harper grinste kurz. »Sein Bruder hat eine Karosseriewerkstatt. Guter Mann, übrigens. Ich bringe meinen Wagen auch dorthin.«
Mason sah, wie Ray einen Schluck von dem brühendheißen Kaffee nahm und erfolglos zu verbergen versuchte, dass er sich gerade die Zunge verbrannt hatte. Trotzdem gelang es ihm, eine weitere Frage zu stellen. »Wir wüssten gern, was Sie an dem Morgen, an dem das Skelett gefunden wurde, in Lakefield gemacht haben. Eigentlich wohnen Sie doch in Portland. Korrekt?«
Harpers Blick verschloss sich. »Ich habe meinen Vater besucht. Er wohnt in der Nähe des Mietshauses. Am Wochenende bin ich öfter dort.«
»Wir konnten die Adresse Ihres Vaters in keinem öffentlichen Verzeichnis finden. Jacob Harper? Richtig? Wohnt er zur Miete?«
»Nein. Oder irgendwie schon.« Harper trat ans Fenster und betrachtete den Berg. »Er lebt in einer Pflegeeinrichtung für Erwachsene.«
»Wie bitte?«
Harpers Gesicht spiegelte sich im Glas. Mason glaubte, darin Ungeduld und Irritation zu erkennen. »Mein Vater wird in einer kleinen privaten Wohngruppe betreut, die ältere Menschen mit besonderem Pflegebedarf aufnimmt. Er wohnt dort mit vier anderen Männern und ein oder zwei Betreuern zusammen.« Harpers Ton klang steif.
Ray wurde rot. Er machte den Mund auf und wieder zu. Diese offensichtlich ziemlich persönliche und ziemlich schmerzhafte Erklärung schien ihn zu überrumpeln. Mason übernahm.
»Ich dachte, Ihr Vater sei nach wie vor in der Firma aktiv.«
Jack schüttelte den Kopf. »Sein Name steht noch auf dem Briefkopf. Das ist alles. Er erinnert sich nicht mehr daran, dass er die Firma gegründet hat, und kann keine Entscheidungen mehr treffen.«
»Alzheimer?«
Harper drehte sich zu Mason und starrte ihm voll ins Gesicht. »Ja. Und meistens weiß er nicht mal mehr, dass er einen Sohn hat.«
»Das muss ziemlich hart für Sie sein. Beschissene Krankheit.«
Eine von Harpers Brauen hob sich fast unmerklich. »Haben Sie noch andere Fragen?«
»Was können Sie uns über Hillary Roske erzählen?«
»Wir hatten ein paar Dates. Und wir haben uns getrennt. Lang bevor sie verschwand. Haben Sie heute
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