Verfallen
den Rauch heftig ausbläst. »Eines rate ich dir: Schaff dir bloß keine Kinder an. Dann ist es nämlich mit der Ruhe vorbei. Aber ich habe schon vor langer Zeit aufgegeben, mir Sorgen um Dianne zu machen. Sie ist eine erwachsene Frau, die sich sehr gut um sich selbst kümmern kann. Wie eine Katze. Landet immer auf den Pfoten. Wenn sie nicht ans Telefon geht, hat sie mit Sicherheit gute Gründe dafür.«
Im Schritttempo folge ich dem Feldweg zur Asphaltstraße. Ganz am Ende steht Diannes Briefkasten, eine graue Blechkiste auf einem schiefen Pfahl. Ich steige aus und öffne die Klappe. Im Kasten liegt nur ein feuchtes Wochenblättchen, Paru Vendu . Die aktuelle Ausgabe. Ich lasse es liegen und steige wieder ins Auto.
Während ich langsam durch den bewaldeten Landstrich fahre und dabei nach anderen Häusern an der kleinen Straße Ausschau halte, ebbt mein Ärger über Gerdas Verhalten allmählich ab. Ich darf nicht zu viel darauf geben – das tut Dianne inzwischen auch nicht mehr –, aber mich stört einfach diese extreme Gleichgültigkeit einer Mutter ihrer Tochter gegenüber. Ich kann mich an keine Gelegenheit erinnern, bei der diese Frau ihrem einzigen Kind mehr Bedeutung eingeräumt hätte als ihren eigenen Interessen. Ich vermute, es liegt daran, dass Dianne ihrem leiblichen Vater zu sehr ähnelt – zumindest hat Gerda ihr das im Streit oft an den Kopf geworfen.
Einen Nutzen hat das Gespräch jedoch: Ich mache mir nicht mehr so große Sorgen.
Wenn Dianne krank oder verletzt im Krankenhaus läge, hätte Gerda – ob Rabenmutter oder nicht – ganz bestimmt davon gewusst.
11
Der Bauernhof von Diannes Nachbarn liegt direkt an der Landstraße und gleicht eher einer kleinen Siedlung als einem Landwirtschaftsbetrieb. Rechts und links der Straße gruppieren sich anscheinend ohne System Ställe, offene Unterstände und Schuppen. Einige Gebäude sehen neu aus, andere sind windschief und werden nur noch von wuchernden Kletterpflanzen zusammengehalten. Diannes Nachbarn scheinen nicht besonders ordentlich zu sein. Überall liegt Krempel herum: Autoreifen, Flaschen, Landwirtschaftsplanen.
Eine Herde von mindestens fünfzig Gänsen marschiert vor meinem Auto über die Straße. Sie stoßen blecherne Schreie aus und hinterlassen kleine Federn, Mist und Fußabdrücke im Matsch.
Auf dem Briefkasten an der Hausmauer kann man gerade noch so die Namen der Bewohner entziffern: BEAU , RÉGIS UND ANNIE . Hoffentlich sind die Beaus zu Hause. Wenn sie auch nur halb so neugierig sind wie Martha Pieters, werde ich noch heute Vormittag herausfinden, wo sich Dianne herumtreibt und mit wem.
Ich parke das Auto vor dem Haus und steige aus.
Meine Ankunft wird von einem Hund bemerkt, der vor einer der Scheunen an der Kette liegt. Knurrend rennt er auf mich zu, so weit er kann, und verbellt mich, die Kette straff gespannt.
Wo sollen sich Besucher hier melden? Die Vordertür zur Straßenseite scheint nicht benutzt zu werden – eine Kletterrose rankt sich daran empor. Zum Hof hin führt eine zweite Tür hinaus auf eine Veranda. Unter dem Wellblechdach steht ein Gartentisch mit Stühlen. An einem Haken hängt ein Korb mit verwelkten Balkonblumen.
» Allo, bonjour? «, rufe ich.
Der Hund bellt ununterbrochen weiter.
Aus einer der Scheunen kommt ein Mann im Overall mit gedrungenem Körperbau und tief liegenden Augen in einem wettergegerbten Gesicht. Zuerst ignoriert er mich und betrachtet stattdessen mit zusammengekniffenen Augen eingehend mein Auto, um das Kennzeichen besser lesen zu können. Dann erst dreht er sich um und mustert mich von Kopf bis Fuß.
»Monsieur, darf ich Sie etwas fragen?«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin eine gute Freundin Ihrer Nachbarin, Dianne van den Berg.«
Als er Diannes Namen hört, verhärtet sich sein Gesicht. Dann hebt er das Kinn und scheucht mich mit einer beidhändigen Hau-ab-Geste vom Hof. Anschließend dreht er sich weg und geht wieder in die Scheune.
»Monsieur?« Ich folge ihm ein paar Schritte. »Sie sind doch …«
Meine Stimme stockt. In der Scheune steht ein zweiter Kerl. Hinter einer Kuh hervor glotzt er mich an, die Ellenbogen auf den Rücken des Tieres gestützt. Am Wohnzimmerfenster erscheint das Gesicht einer Frau. Demonstrativ zieht sie die Gardine zu. Als ich mich umdrehe, sind beide Männer verschwunden.
Der Hund bellt immer noch. Sein magerer Körper zuckt bei jedem Laut, und Sabberfäden fliegen ihm aus dem Maul.
»Vielen Dank auch«, murmele ich und kehre zu meinem Auto
Weitere Kostenlose Bücher