Verfallen
zurück. An meinen Stiefeln klebt eine dicke Schicht gelber Matsch, mit dem ich die Fußmatte und die Pedale beschmiere.
Der Schlamm ist noch nicht getrocknet, als ich eine Viertelstunde später das Dorf erreiche. Ich parke mein Auto auf einem brachliegenden Grundstück neben dem Tante-Emma-Laden. Das Regal mit den Gasflaschen steht jetzt seitlich an einer Wand.
Die Tür klemmt ein wenig, und eine altmodische Ladenglocke klingelt fröhlich. Ich bin die einzige Kundin an diesem Montagmorgen. Eine junge Frau um die zwanzig mit einer Schürze vor dem Schoß kniet vor einem der Regale. Sie grüßt mich abwesend und fummelt weiter an einer Etikettierzange herum.
Ich nehme einen Drahtkorb und fülle ihn mit Lebensmitteln. Im Kühlfach finde ich eine Quiche Lorraine und Gouda, weiter hinten Mineralwasser und Cola, Chips, Schokolade, löslichen Kaffee, Baguette, Croissants, Nutella, Äpfel und Bananen. Kurz vor der Kasse nehme ich noch eine Flasche Bacardi aus dem Regal.
Ich stelle alles auf einen Tisch neben die Kasse – ein Band gibt es nicht.
Die Kassiererin wischt unsichtbaren Schmutz von ihren Händen an ihrer Schürze ab und setzt sich an ihren Platz. Schweigend gibt sie die Preise ein, und ich stelle die Sachen in einen Karton. Da es kein Kartenlesegerät gibt, zahle ich bar.
Mit einem leisen » Au revoir « droht sie sich wieder ihrer Etikettierzange zuzuwenden.
» Mademoiselle? «, frage ich. »Kennen Sie vielleicht Dianne van den Berg?«
Ohne nachzudenken schüttelt sie den Kopf.
»Aber Sie müssten sie eigentlich kennen, sie wohnt in Le Paradis, ganz in der Nähe. Sie ist Niederländerin wie ich und hat hellblonde, fast weiß gefärbte Haare, ungefähr so lang.« Ich deute Diannes Haarlänge mit der gestreckten Hand über meiner Schulter an. Unter dem ausdruckslosen Blick der Kassiererin fühle ich mich von Sekunde zu Sekunde lächerlicher.
Geduldig lässt sie mich ausreden und sagt dann: »Ich kenne Ihre Freundin nicht. Je suis désolée – es tut mir leid. Fragen Sie mal in der Kneipe. Da gehen manchmal Ausländer hin.«
»Hier ist es ganz anders als in den Niederlanden«, hat Dianne mir am Telefon erzählt. Ein paar Wochen zuvor war sie in ihr französisches Haus gezogen und schwärmte ohne Punkt und Komma, wie toll es dort sei.
»Die Menschen sind eins mit der Natur. Ich habe Familien kennengelernt, die ihr Wasser noch aus einem Brunnen holen. Kannst du dir das vorstellen? Die ersten Wasserleitungen wurden hier erst um neunzehnhundertsechzig herum verlegt, davor hatten alle nur einen Brunnen. Das ist echtes Quellwasser, und zwar ganz umsonst! Hier gibt es überall unterirdische Quellen.«
»Hast du auch einen Brunnen?«
»Nein, leider nicht. Aber ich koche mit Gas aus Gasflaschen.«
Mir schwebten kleine blaue Butangaskartuschen vor. »Ist das nicht sehr umständlich?«
»Nein, nein, die Flaschen kann ich im Dorf kaufen. Es ist Pfand drauf, und sie sind preiswert. Mit einer Flasche komme ich ein halbes Jahr aus.«
Ich fand das schwer vorstellbar.
»Und weißt du, was es hier noch nicht gibt?«, fuhr Dianne fort. »Abwasserkanäle. Man bezahlt also keine Abwassergebühren. Jeder hat seine eigene fosse septique , eine Privatsickergrube, wenn du so willst.«
»Was ist mit Strom?«
»Wird über oberirdische Leitungen geliefert. Nicht besonders zuverlässig. Ich habe schon zweimal im Dunkeln gesessen. Ich will sobald wie möglich auf Strom aus Sonnenenergie oder Erdwärme umsteigen, aber bisher gibt es hier nur Atomstrom.«
Sie ließ sich lang und breit über dieses Thema aus und erzählte detailliert von verschiedenen Formen staatlicher Subventionen für nachhaltige alternative Energien. Ich hörte gar nicht mehr richtig zu.
Die Leidenschaft, die ich so sehr an ihr bewundere, hat leider eine Kehrseite. Dianne kann manchmal in Monologe verfallen, bei denen sie jegliches Maß verliert. Dann gibt es für sie nur noch das eine Thema, was sie gepackt und worin sie sich verbissen hat. In den letzten Jahren hat sie sich eingehend mit alternativen Lebensstilen beschäftigt. Ein Selbstversorgerdasein, möglichst unabhängig von den großen multinationalen Konzernen, eine bewusstere, langsamere Art zu leben, das ist ihr Ideal. Dafür ist sie ausgewandert.
Die Kneipe macht einen heruntergekommenen Eindruck. An der Wand hängen ein elektronisches Dartboard, Plakate und Ankündigungen und ganz weit oben ein Fernseher, der auf einen Nachrichtensender eingestellt ist. Die Lautstärke ist weit
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