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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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sind steif vor Kälte, und meine Zehen fühlen sich halb erfroren an ebenso wie meine Nasenspitze. Der Überwurf und die oberen Decken sind vom Bett gerutscht. Blind greife ich danach und ziehe sie wieder über mich.
    Ich gähne ausgiebig und will mich grade auf die andere Seite drehen und weiterschlafen, als plötzlich von draußen Licht hereinfällt. Da, schon wieder! Ein schwacher Lichtkegel huscht auf der Wand hin und her und verschwindet wieder.
    Unter den vielen Decken setzt mein Herz einen Schlag aus. Ein Gewitter kann es nicht sein, ich höre weder starken Wind noch Regentropfen. Es ist noch immer genauso still wie abends vor dem Einschlafen. Könnten es Scheinwerfer gewesen sein?
    Kommt Dianne nach Hause?
    Ich springe aus dem Bett und eile mit ein paar Schritten ans Fenster. Am Abend zuvor hatte ich von dort aus eine atemberaubende Aussicht über das offene Feld und den Wald jenseits davon. Doch jetzt, wo der Mond untergegangen ist, kann man kaum noch den Hof erkennen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor so eine gnadenlose, absolute Stille und ebenso absolute Finsternis erlebt zu haben. Wieder überfällt mich die Intensität dieser Erfahrung, noch stärker als bei meiner Ankunft.
    Erneut huscht ein Lichtschein durch das Zimmer, so grell und unerwartet, dass ich mit einem Schrei vom Fenster wegspringe und Schutz an der Wand suche. So schnell, wie es gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Alles ist wieder dunkel. Stocksteif bleibe ich stehen.
    Was war das?
    Kein Auto oder Motorrad, so viel ist sicher.
    Der Holzfußboden unter meinen Füßen fühlt sich rau und kalt an. Ich fange an zu zittern.
    Erst nachdem es minutenlang still und dunkel geblieben ist, wage ich es wieder, durch den Gardinenspalt hinauszuschauen. Da erkenne ich, wo das Licht herkommt: ein schmaler Kegel, dessen Ursprung in Höhe des Waldes liegt – im Wald?
    Unwillkürlich muss ich an eine Geschichte denken, die mich als Kind stark beeindruckt hat. Sie handelte von Irrlichtern, die einsam in Wäldern und Sümpfen umherirrten. Sie lockten Wanderer an, die sich verlaufen hatten, und führten sie ins Unglück, zum Beispiel ins Moor. Nach altem Aberglauben sind es die Seelen tot geborener Kinder, deren Anblick Unheil bringt.
    Ich kann unmöglich feststellen, wo genau sich die Lichtquelle befindet. Das Gelände ist zu hügelig, und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob es dort hinten anstieg oder abfiel.
    Der Lichtstrahl huscht in meine Richtung.
    In einem Reflex ziehe ich die Gardinen vor meiner Nase zusammen. Warum bin ich nicht doch einfach in ein Hotel gegangen?
    Ich versuche, nüchtern nachzudenken und mich nicht von meiner Angst beherrschen zu lassen. Das Licht ist draußen, weit weg vom Haus, und es ist gut möglich – ja, sogar wahrscheinlich –, dass dieses Haus nicht absichtlich beschienen wird. Ein Lichtstrahl reicht hier sehr weit. Im Wald oder am Waldrand läuft offenbar jemand mit einer Taschenlampe herum, mehr steckt nicht dahinter, und mehr sollte ich auch nicht hineininterpretieren.
    Ich frage mich, wie Dianne reagieren würde. Sie ist erheblich impulsiver als ich und viel mutiger. Würde sie hinauslaufen, um nachzusehen? Nein, natürlich nicht. Dafür besteht gar kein Anlass. Könnte doch sein, dass dort hinten jemand wohnt, der draußen Holz holen oder nach seinen Tieren sehen muss, obwohl es drei Uhr morgens ist.
    Ich sage mir, dass das alles nichts mit mir zu tun hat. Nicht mein Problem. Ich bin in einem fremden Land, in einem unbekannten Haus. Was immer es ist, es hat einfach nichts mit mir zu tun.
    Zitternd lege ich mich wieder ins Bett und ziehe die Decken hoch bis zum Hals. Mit weit offenen Augen liege ich da und starre an die Decke. Vollgepumpt mit Adrenalin, auf jedes Geräusch achtend. Ich kämpfe gegen den Impuls an, Erwin eine SMS zu schicken – er kann nichts für mich tun und würde sich nur Sorgen machen.
    Als Kind lag ich oft hellwach im Bett, die Augen halb geschlossen, auf der Suche nach Schatten über dem Schrank oder am Fenster. Ebenso wie die veränderlichen Wolkenbänke am blauen Himmel erzählten auch sie mir eine Geschichte. Doch diese Schattengeschichten waren ganz anderer Natur – finster und bedrohlich. Wenn ich es nicht mehr aushielt, sprang ich aus dem Bett und rannte ins Schlafzimmer meiner Eltern. Dort hielt meine Mutter schlaftrunken ihr Deckbett hoch, als hätte sie schon auf mich gewartet. In den weichen Kissen, die beruhigende Wärme meiner Mutter direkt neben mir,

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