Verfallen
und zieht mir die Arme auf den Rücken. Dann fesselt er mich in Höhe der Ellenbogen so stramm mit einer Schnur, dass mir beinahe die Schultern ausgekugelt werden. Anschließend fesselt mich der Erste grob an Knien und Fußgelenken.
Die Männer arbeiten hastig, werfen regelmäßig Blicke nach draußen und fahren dann wieder mit der Arbeit fort. Ihr Atem hinter den vorgeformten Plastikmasken klingt gespenstisch hohl. Ihre Augen kann ich nicht erkennen; durch die dunklen Gucklöcher sieht man nur ein Funkeln.
Mein Kopf wird in den Nacken gezogen und mein Mund mit Klebeband verschlossen, von einer Wange zur anderen. Ich versuche, ihn zu öffnen – unmöglich.
Meine Entführer springen hinaus, knallen die Türen zu und schließen ab. Von draußen dringt kein Lichtstrahl herein. Jetzt ist es dunkel. Stockdunkel.
Ich winde mich über den Boden und schürfe mir das Gesicht an dem Dreck und an dem Sand auf, der den hölzernen Untergrund bedeckt. Mein Kopf hämmert, irgendetwas brennt mir in einem Auge. Ich glaube, es ist mein eigenes Blut.
Das Auto wird angelassen und setzt sich in Bewegung. Gleichzeitig fängt ein Radio an zu dudeln. Hektisches Geschnatter eines DJ s dringt gedämpft durch die Verkleidung. Der Kleinbus stinkt nach Öl und Benzin.
Erneut versuche ich, den Mund zu öffnen, aber es hat keinen Sinn. Das Klebeband haftet unerbittlich an meinen Lippen und gibt keinen Millimeter nach, egal wie sehr ich mich auch abmühe. Schnaufend atme ich durch die Nase. Ich habe Angst zu ersticken. Meine Lungen platzen fast.
Schmerzstiche durchzucken meinen Kopf, meine Arme und Schultern. Ich beuge und strecke meine Finger, greife ins Leere, versuche, den Strick um meine Knie zu erreichen, aber es gelingt mir nicht.
Trotzdem versuche ich es immer weiter. Ich muss mich irgendwie befreien – ich muss!
Minuten vergehen. Vielleicht auch Stunden. Ich verliere mein Zeit- und Orientierungsgefühl. Bei jeder Unebenheit und jeder Lenkbewegung werde ich durchgerüttelt. Ich rutsche immer weiter, bis ich an einer der Wände liege, wahrscheinlich zur Fahrerkabine hin. Ich höre eine gedämpfte Unterhaltung, kann aber nichts verstehen. Der DJ plappert ununterbrochen und spielt dann ein Stück von einer französischen Band. Meine Entführer drehen das Radio lauter.
Vergeblich verdrehe ich in dem Versuch, den Strick zu erreichen, meine Hände in alle Richtungen, bis die brennenden Schmerzen in meinen Schultern unerträglich werden und ich meine Versuche aufgeben muss. Mir ist, als würde ich ersticken. Als sei zu wenig Luft im Raum. Als hätte ich allen Sauerstoff verbraucht. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich in die Dunkelheit.
Ich sterbe. Ich habe wirklich Angst zu sterben.
Das werde ich nicht überleben.
Der Lieferwagen wird langsamer und holpert schließlich im Schritttempo über unebenes Gelände. Ich habe das Gefühl, dass wir bergauf fahren. Ich gerate wieder ins Rutschen, bis ich an einer anderen Wand liege.
Draußen höre ich Stimmen. Noch mehr Leute. Männer. Der Wagen beschleunigt wieder und fährt langsam über ebenes Gelände, bis er schließlich anhält und der Motor ausgeschaltet wird.
35
Dianne ist mir durch und durch vertraut, weshalb ihr Verhalten für mich vorhersehbar ist. Auf andere dagegen, die sie weniger gut kennen, wirkt sie manchmal launisch. Gelegentlich hat man sie sogar als unberechenbar beschrieben, was ich maßlos übertrieben finde. Im Gegenteil: Ihre Dynamik fasziniert mich, und ich bewundere ihre Tatkraft. Sie wagt wenigstens auszusprechen, was sie denkt, Stellung zu beziehen und ihre Überzeugung mit Feuereifer zu verteidigen. Ich nicht. Ich gehe Konfrontationen lieber aus dem Weg. Schon mein ganzes Leben lang. Aus lauter Angst vor den Folgen, aber auch, weil ich mir meiner Sache niemals so sicher bin wie Dianne, halte ich meistens den Mund.
Dianne ist von uns beiden der Motor, die treibende Kraft. Ich fungiere als Stabilisator und Bremse. Wenn wir ein Team bilden, funktioniert das ausgezeichnet.
Doch einmal musste ich die Notbremse ziehen.
Es war im letzten Jahr, in der ersten Hälfte des Sommers. Wir waren im Auto unterwegs zur Uniklinik, wo Diannes Stiefvater am Blinddarm operiert worden war. In der Nähe des Krankenhauses liegt ein Wohnviertel mit Teichen, die über flache Gräben miteinander in Verbindung stehen.
Die Mutterente muss aus einem der Gräben gekommen sein. Plötzlich überquerte sie die Straße, gefolgt von einem Pulk Küken. Dianne machte eine Vollbremsung. Ich
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