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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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ihren Schuhen knirschen und Erdklumpen zerbersten.
    Es wird dunkler. Wir gehen irgendwo hinein. Ich höre Schritte, den keuchenden Atem weiterer Leute, die uns schweigend begleiten. Mein Kopf baumelt nach hinten herunter und streicht bei jedem Schritt am Schienbein eines der Entführer entlang.
    Wir steigen eine Treppe hinunter. Ein Geruch nach Feuchtigkeit, ein kalter Luftzug. Alle Geräusche klingen gedämpft.
    Ich höre Poltern hinter mir, hastige Schritte auf knarrendem Holz. Meine Entführer haben zwei oder drei Helfer.
    Niemand sagt etwas. Warum reden sie nicht? Wer sind diese Leute?
    Was wollen sie in Gottes Namen von mir?
    Eine Tür wird geöffnet. Sie quietscht laut in den Angeln. Ich spüre den Luftwiderstand, als wir hindurchgehen. Wir betreten einen abgeschlossenen Raum.
    Sechs, sieben Schritte weiter werde ich auf den Boden gelegt, flach auf den Bauch. Jemand pult an dem Strick um meinen Hals und zieht mir den Jutesack vom Kopf. Ein anderer packt mich an den Haaren und dreht mein Gesicht zu sich hin. Ungeduldig zupft er am Ende des Klebebandes und reißt mir den Streifen mit einem Ruck vom Mund. Dankbar sauge ich die feuchte Kellerluft gleich literweise in meine Lungen. Und noch einmal. Tränen fließen mir über die Wangen. Ich muss husten.
    »Hier kann dich niemand hören«, sagt jemand auf Französisch. »Da kannst du schreien, wie du willst.«
    Dann gehen sie.
    Ich hebe den Kopf, wacklig wie ein wenige Monate altes Baby, und drehe das Gesicht in Richtung ihrer Schritte. Ich sehe gerade noch die Tür hinter den Männern zuklappen.
    Dann bin ich allein.
    Blinde Panik überfällt mich. Ich habe das Gefühl zu ersticken, als läge der Strick des Jutesacks noch immer um meinen Hals und schnüre mir die Luft ab. Dann wieder kommt es mir vor, als schwebte ich, als verschwände der Boden unter mir, als täte sich eine Fallgrube auf und als vollführte ich Rückwärtssalti.
    Mir schwindelt, und ich verliere jedes Zeitgefühl.
    Langsam, ganz allmählich ebbt der Eindruck des Unwirklichen ab.
    Denn die Schmerzen sind sehr real. Ein dröhnendes, hämmerndes, durchdringendes Stechen peinigt mich auf der rechten Seite meines Kopfes. Dort klafft eine blutende Wunde. Mein rechtes Augenlid und die Schläfe fühlen sich klebrig an.
    Aber so schlimm ist es nicht. Die Verletzung ist nicht ernsthaft. Die Schmerzen sind nicht das Schlimmste. Das Schlimmste kommt erst noch. Die haben mich hier nicht grundlos hergebracht.

36
    Meine Zelle gleicht einer Art Hundezwinger: ein quadratischer Raum nicht größer als meine Küche zu Hause, vergittert mit Metallstäben vom Boden bis zur Decke, in der Mitte eine Gittertür, die mit einer Kette und einem Vorhängeschloss gesichert ist. Der Käfig ist in den rückwärtigen Teil des schmalen Kellerraumes eingebaut. Auf der anderen Seite befindet sich eine Tür, und in der Mitte des Raumes hängt eine Glühbirne von der Decke. Sehr hell ist sie nicht, aber ich kann erkennen, dass die Tür den einzigen Ausgang darstellt. Es gibt weder Fenster noch Luken, nichts als felsige Wände.
    Was werden sie mit mir machen? Ich kämpfe gegen eine neue Welle der Angst an. Jedoch versuche ich, ruhig zu bleiben und mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich will nicht sterben. Es muss einen Weg geben zu flüchten. Es muss!
    Ich liege auf dem Bauch. Meine Arme sind immer noch an den Ellenbogen auf meinem Rücken gefesselt. Ich muss versuchen, mich aufzurichten, mich hinzusetzen oder sogar hinzustellen, wenn irgend möglich.
    Mühsam ziehe ich die Knie an, verfrachte die Beine unter meinen Körper, verliere aber das Gleichgewicht und falle auf die Seite. Stöhnend vor Anstrengung ziehe ich erneut die Beine an und drücke mich mit Schulter und Kopf ab. Ich schaukle auf dem kalten Boden hin und her, drücke mich wieder ab, und noch einmal. Ich spüre, wie die Sehnen in meiner Schulter überdehnt werden, und verziehe das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. Als ich es fast geschafft habe, geht es wieder schief. Mit den aneinandergefesselten Knien kann ich die Balance einfach nicht halten und rolle zurück auf die linke Seite. Keuchend bleibe ich liegen, mit geschlossenen Augen. Tränen bitterer Frustration laufen mir über die Wangen und brennen auf meinen wunden Lippen.
    Eine Flucht ist ausgeschlossen.
    Sie haben mich zu geschickt gefesselt, und mir bleibt nicht einmal mehr genug Kraft, um aufzustehen.
    Die Sekunden verrinnen, ohne dass etwas geschieht. Vielleicht vergehen Minuten oder sogar Stunden.

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