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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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wurde mit voller Wucht in den Gurt gepresst, mein Kopf schlug nach vorn.
    Ein VW -Golf überholte uns hupend. Der Fahrer zeigte uns den gestreckten Mittelfinger, ich sah seinen Mund wütend auf- und zugehen, er schrie uns etwas zu. Voller Grausen mussten wir mit ansehen, wie er mit Vollgas an uns vorbeizog und genau auf die Entenfamilie zuraste. Wie durch ein Wunder schafften es nur zwei der Jungen nicht auf die andere Straßenseite.
    Ein Stück weiter bog der Golf auf den Parkplatz des Krankenhauses ein. Dianne nahm sofort die Verfolgung auf. In diskretem Abstand fuhr sie hinter ihm her. Wir sahen, wie ein Mann in den Vierzigern ausstieg und, ohne sich umzusehen, auf den Besuchereingang zuging.
    Dianne parkte ihren Wagen dem Golf schräg gegenüber. Die beiden Autos wurden nur durch einen Fußweg und einen Grünstreifen voneinander getrennt. Wir warteten, bis die Besuchszeit begonnen hatte und es auf dem Parkplatz ruhiger geworden war. Dann holte Dianne ein Taschenmesser aus dem Handschuhfach und stieg aus.
    Während sie den glänzenden, mit teuren Felgen ausgestatteten Golf zerkratzte und die Reifen einen nach dem anderen zerstach, traten mir die Tränen in die Augen. Natürlich hatte so ein Kerl eine Strafe verdient. Das verstand sich von selbst. Doch die Art, wie Dianne wütete, hatte wenig mit einer kaltblütigen Racheaktion gemein, sondern nahm sich ganz anders aus.
    Nie werde ich den aufgeregten Blick in ihren Augen vergessen, als sie zum Auto zurückkehrte. Ihre Wangen waren von der Anstrengung gerötet, und ein erhabenes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
    Zufrieden betrachtete sie ihr Zerstörungswerk. Der Golf war übel zugerichtet.
    »Sollen wir jetzt fahren?«, fragte ich.
    »Nein. Wir warten.« Dianne war noch immer außer Atem.
    »Worauf?«
    »Dass das Arschloch zurückkommt.«
    »Und dann?«
    Schweigend legte sie die Hände aufs Lenkrad. Ihr Lächeln wurde grimmig. Der Fanatismus, der in ihren Augen flackerte, ließ mich zurückschrecken.
    »Du willst ihn überfahren?« Ich schrie fast. »Verdammt noch mal, Dianne, lass den Quatsch! Bist du denn völlig verrückt geworden?«
    »Er hätte bremsen können«, stieß sie wütend hervor. »Der Scheißkerl hätte einfach nur zu bremsen brauchen. Aber er hat es nicht getan.« Sie sah mich an. »Ich finde solche Leute zum Kotzen. Die machen mich krank!«
    Mir fehlten die Worte. Ich starrte den zerstörten Golf an. Endlich sagte ich so ruhig und eindringlich wie möglich: »Dianne, der Mann hat einen Schaden von ein paar tausend Euro an seinem Auto. Er ist genug gestraft. Hörst du?«
    »Solche halbherzigen Aktionen bewirken gar nichts.« Beleidigt drehte sie den Kopf weg.
    »Dianne?« Ich legte eine Hand auf ihren Arm und drückte ihn. »Jetzt ist Schluss. Du hast dich da in etwas verrannt.«
    Ganz kurz nur, für den Bruchteil einer Sekunde, glaubte ich, Unsicherheit in ihrem Blick zu erkennen. »Meinst du wirklich?«
    Ich nickte nachdrücklich. »Ja. Das geht zu weit.«
    Lange Zeit blieben wir sitzen und starrten mit leerem Blick vor uns hin. Sie hatte ihre Hand auf meine gelegt. Wir sagten kein Wort, beide in unsere eigenen Gedanken vertieft.
    Dann ließ sie meine Hand los, startete den Wagen und verließ den Parkplatz.
    Wir haben den Vorfall nie mehr erwähnt.
    Sie sind Raucher, die Männer mit den Schweinemasken. Ihre Kleider stinken nach Selbstgedrehten. Sie haben die Heckklappen aufgerissen und sind in den Laderaum gesprungen. Was sich draußen befindet, kann ich nicht erkennen, weil mich nach der langen Fahrt in tiefer Dunkelheit das Tageslicht zu sehr blendet.
    Ich werde an den Schultern gepackt und gezwungen, mich auf die Seite zu rollen. Jemand stülpt mir mit einer fließenden Bewegung einen Jutesack über den Kopf und bindet ihn um meinen Hals fest. Meine Taschen werden durchsucht, das Handy konfisziert.
    Eine seltsame Gelassenheit überkommt mich. Ich unternehme keinen Versuch mehr, mich loszuwinden. Widerstand ist zwecklos. Sie haben die Oberhand, was immer ich auch versuche. Ich brauche meine ganze Energie, um Sauerstoff durch die Nasenlöcher in die Lunge zu saugen, um mich am Leben zu erhalten.
    Ich werde über den Boden der Ladefläche hinweg nach draußen geschoben. Männer heben mich an den Schultern und Knien hoch und setzen sich in Bewegung. Der Jutesack raubt mir die Sicht, ich kann keine Einzelheiten erkennen, nur Hell und Dunkel und verschwommene Konturen. Durch den rauen Stoff fühle ich den Wind in meinem Gesicht. Ich höre Kies unter

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