Verfallen
florierenden Betrieb, wenn man so sagen darf.« Er schweigt, und seine Augen glitzern gefährlich. »Und unter seinem Dach wuchs und gedieh noch viel mehr, als er für möglich gehalten hätte.«
»Seine Frau war schwanger«, flüstere ich.
»Erst im vierten Monat.« Chevalier klopft die Zigarette über dem Plastikbecher ab und folgt den versinkenden Aschepartikeln mit den Augen. »Wir hatten viel Spaß miteinander, Patricia und ich.«
»Das Kind war von dir?«
Er sieht mich aus den Augenwinkeln heraus an. »Wundert dich das?«
Ich antworte mit einer feigen, unbestimmten Kopfbewegung und zucke halbherzig mit den Schultern. Wieder huscht mein Blick zur Tür. Höre ich draußen Leute? Vielleicht war es doch keine so gute Idee, zu dem Treffen zu kommen. Aber ich war davon überzeugt gewesen, kaum ein Risiko einzugehen. Ich glaubte, wenn ich meine Gedanken beisammenhielte, wäre ich ihm jederzeit überlegen.
Doch inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.
»Bernard wusste nichts davon«, erzählt Chevalier weiter. »Er wusste nicht einmal, dass sie schwanger war. Es war auch so geplant, dass er nie davon erfahren sollte. Denn bevor die Schwangerschaft sichtbar wurde, sollte Hugo ihn bereits aus dem Weg geräumt haben.«
»Warum?«, frage ich, aber meine Stimme klingt lange nicht so fest, wie ich es mir wünschte. Ich räuspere mich vernehmlich und wiederhole: »Warum sollte Hugo das tun? Was hatte er gegen diesen Mann?«
Falls Chevalier meine Nervosität bemerkt hat, lässt er es sich nicht anmerken. »Hugo wusste von Laurent, dass dieser selbstherrliche Dreckskerl mit gentechnisch manipuliertem Mais herumexperimentierte. Ich habe ihn weiter aufgehetzt, indem ich ihm einredete, Bernard Bonnet habe eine Vorbildfunktion für die hiesigen Bauern und alle blickten zu ihm auf. Es sei also nur eine Frage der Zeit, bis das amerikanische Virus sich in der ganzen Gegend verbreiten würde.« Er lacht. »Nicht, dass mich das im Geringsten interessiert hätte. Aber die anderen umso mehr. Und das war der springende Punkt. Dadurch brauchte ich mir nicht selbst die Hände schmutzig zu machen. Denn im Gegensatz zu mir ist notre Hugo ein Idealist durch und durch – wenn auch ein durchgedrehter.«
»Du hast die Aktivisten vor deinen Karren gespannt.«
»Na und? Alle hätten davon profitiert. Patricia hätte mich mit offenen Armen empfangen. Ich hätte nahtlos Bernards Platz einnehmen und mich ins gemachte Nest setzen können. Ich hätte alles bekommen: seine Frau, sein Haus, sein Land und seinen ganzen Betrieb.«
Ich springe auf. »Wusste sie davon? Wusste Patricia Bonnet, dass ihr ihren Mann ermorden wolltet?«
Chevalier sieht mich starr an. »Nein. Natürlich nicht. Sie hatte nichts damit zu tun, sie wusste gar nichts.« Er lehnt an der Wand neben der Tür, die Beine über Kreuz. Wenn man den Ton abstellen könnte, würde man schwören, dass dieser Mann ein entspanntes Schwätzchen hielt, ganz locker.
Doch gerade diese lässige Haltung und sein Geständnis beunruhigen mich mehr als der Wutausbruch von eben. Denn warum sollte er mich ins Vertrauen ziehen, obwohl ich angekündigt habe, gegen ihn aussagen zu wollen?
Das kann nur eines bedeuten. Alles in mir drängt mich zur sofortigen Flucht. Schnell weg, solange es noch geht!
Doch ich zwinge mich sitzen zu bleiben, mit fast unmenschlicher Anstrengung.
Sein Blick schweift ab. »Ich wollte schon immer einen so großen Landwirtschaftsbetrieb besitzen. Doch mir fehlten die nötigen Beziehungen, wie Bernard sie besaß. Mein Vater war genau wie ich Dorfgendarm, was bedeutet, dass mir niemals ein Bauer auch nur einen Quadratmeter Boden verkaufen würde. Gutes Land bleibt in Familienbesitz, bis zum letzten Zentimeter. Außenstehende haben keine Chance.«
Ich habe meine Stimme wiedergefunden, aber sie klingt heiser. »Kanntet ihr euch gut? Bernard Bonnet und du?«
»Gut?« Er schnaubt. »Jahrelang ist er mit mir in die Klasse gegangen. Dieser vertrottelte Emporkömmling.«
»Warum musste er sterben? Was hatte er getan?«
»Nichts.« Ein Schatten legt sich auf sein Gesicht. »Patricia hätte gar nicht dort sein sollen, sie hätte es nie erfahren dürfen. Aber sie war da. Sie hat Hugo und deine Freundin gesehen. Und mich. Die ganze Situation lief aus dem Ruder. Ich musste etwas unternehmen.«
Mir fällt der Unterkiefer herunter. Voller Abscheu starre ich ihn an. Zwar war mir klar gewesen, dass ich mich mit einem Kriminellen treffe, der Terroristen unterstützt. Aber das
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