Verfallen
gemacht?«
»Ich bin als Redakteurin für die Wochenendbeilage eingestellt worden, aber letzten Monat wurde mein Vertrag nicht verlängert, weil es nicht genügend Arbeit gab und Arbeitskräfte abgebaut werden mussten.«
»Ach so … Sie waren das. Warum setzen Sie sich nicht einen Moment?« Sein Blick fällt auf die Sekretärin, die im Hintergrund demonstrativ Mappen ordnet. »Sie können jetzt gehen. Oder möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee oder Tee, Mevrouw Lambregts?«
»Nein, danke.«
Die Swegerman verschwindet im angrenzenden Büro, und der Chefredakteur vertieft sich wieder in meine Unterlagen. »Das ist nicht nur eine Meldung wert, besser noch: eine Meldung auf der Titelseite, sondern das ist auch ein außergewöhnlich gut geschriebener und gründlich recherchierter Beitrag.«
»Wollen Sie ihn publizieren?«
Er nickt und klopft mit dem Kugelschreiber auf den Papierstoß. »Wenn es wahr ist, was hier alles drinsteht?«
»Ich habe alles gründlich belegt.«
»Mag sein, aber bevor wir das veröffentlichen, muss ich es noch einmal überprüfen lassen. Ich werde jemanden mit den Recherchen beauftragen, der sich auch mit der Familie Sanders und anderen Betroffenen in Verbindung setzen wird.«
Den Rest höre ich schon gar nicht mehr.
Ich werde von Euphorie erfasst.
Bosveld nimmt mich ernst, er nimmt meinen Artikel ernst und hält ihn sogar für eine Sensation. Und er findet ihn außerordentlich gut geschrieben.
Fantastisch. Ich kann es. Ich kann schreiben.
Ich bin eine gute Journalistin.
Ich wage nur nicht daran zu denken, wie Hugos Reaktion ausfallen wird, wenn ein Journalist mit allen möglichen Beweisen vor seiner Tür steht. Er wird stinkwütend sein. Auf die Zeitung, vor allem aber auf mich. Und ich bin mir sicher, dass sein Vater ein Heer von Spitzenanwälten mobilisiert, um eine Veröffentlichung zu verhindern.
Aber Fakten sind Fakten. Daran ist nicht zu rütteln. Und diese Fakten sind alle in dem Artikel zusammengefasst, in dem Bosveld jetzt begeistert blättert.
Knapp sechzehnhundert Wörter enthält mein Artikel, und alles stimmt bis ins Detail. Belastende Passagen habe ich aus Diannes Tagebuch zitiert, und das ist zulässig. Ich habe alles angewendet, was ich gelernt habe, und noch viel mehr.
Ich habe meine ganze Seele hineingelegt.
56
Vor dem Schlagbaum halte ich an, mit laufendem Motor. Starre über die Wasserfläche vor mir: ein bleigrauer See, umgeben von Wiesen, Sträuchern und Bäumen.
Um diese Jahreszeit kann man sich kaum vorstellen, dass hier die halbe Stadt im Sommer Abkühlung sucht. Jetzt liegt er still, kalt und grau da. Wo sich sonst die Badenden tummeln, schwimmen jetzt große Gruppen von Pfeifenten und Blässhühnern, die sich von anderen Besuchern nicht stören lassen. Zahlreiche Hunde streunen an den Ufern entlang, die Nase am Boden, den Schwanz pausenlos in Bewegung. Von meinem warmen Auto aus sehe ich Herrchen und Frauchen ihre Runden drehen, die Hände tief in den Taschen, die Köpfe gegen den kalten Wind gesenkt.
Hier war ich jeden Sommer zu finden. Hier keimten Beziehungen auf und zerbrachen wieder. Hier bekam ich meinen ersten Kuss, und Dianne ging hier zum ersten Mal weiter – ich stand Schmiere. Alles Wichtige ereignete sich an diesem See.
Auf dem Parkplatz flimmerten Autodächer in der glühenden Hitze, und überall standen und lagen Fahrräder. Der Imbiss und die Eisbuden machten Überstunden. Wir stellten uns in der Schlange an, im Bikini und mit nackten Füßen auf den heißen Bodenplatten, um uns eine kalte Dose Cola oder ein Eis am Stiel zu kaufen. In der Ferne, weit weg vom Badebereich, den kleinen Stränden und kurz gemähten Liegewiesen, glitten weiße Segel über das dunklere Blau. Ich bedenke, dass ich schon sehr lange nicht mehr hier war, bestimmt zehn oder elf Jahre, aber seit damals hat sich nichts verändert.
Die Realität sickert allmählich durch die Nebelbank der Erinnerungen. Erst einzelne Wörter, dann Fetzen aus den Drei-Uhr-Nachrichten. Ich stelle das Radio nicht lauter und höre auch nur mit halbem Ohr zu. Zum vierten Mal wird es heute schon in den Nachrichten gesendet, und der Text ist seit heute Morgen unverändert geblieben.
… ist die Polizei auf der Suche nach dem Sohn von Wouter Sanders, dem Chef von Wouthil Investments. Hugo Sanders steht unter dem Verdacht, Leiter einer europäischen Terrorgruppe zu sein, die …
Vor zwei Tagen hat mich Bosveld in sein Büro eingeladen. Mein Artikel sollte am nächsten Tag
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