Verfallen
veröffentlicht werden. Er zeigte mir das Layout: Schlagzeile, Zusammenfassung und das große Farbfoto eines grimmig dreinblickenden Hugo Sanders sollten auf der Titelseite erscheinen, der übrige Artikel auf Seite drei. Er würde die ganze Seite füllen.
Selbstverständlich würde mein Vertrag rückwirkend verlängert, versprach Bosveld. Er sähe es nicht gern, wenn ich zur Konkurrenz wechselte. Nächsten Monat fange ich wieder an. Allerdings in einer anderen Abteilung. Sjef wird nicht mehr mein Boss, sondern nur noch ein Kollege sein. Ich bin nur noch dem Schlussredakteur und Bosveld selbst unterstellt.
Erwin und ich haben die Neuigkeit mit einem Essen gefeiert.
… Auftragsmorde durchführte. Die Gruppe wird für mehrere ungeklärte Morde verantwortlich gemacht, darunter den an einem belgischen Hundehändler Anfang letzten Jahres. Die Sache geriet ins Rollen, als ein Artikel in der …
Ich bin froh, wieder arbeiten zu können. In letzter Zeit sprudele ich über vor Ideen, welche dubiosen Machenschaften einer näheren Untersuchung wert wären. Doch die rechte Begeisterung will noch nicht aufkommen. Dafür ist es zu früh. Erst muss Hugo gefasst werden. Garantiert ist er irgendwo im Ausland untergetaucht, möglichst weit weg.
Seine Eltern haben bereits einen medienerfahrenen Anwalt als Rechtsbeistand für ihren lieben Sohn angeheuert. Er hat sich bereits in mehreren Radiosendungen geäußert und lauthals vor einer Vorverurteilung seines Mandanten gewarnt.
Das bedeutet nichts anderes, als dass noch nichts gewonnen ist. Nur eines habe ich schon erreicht: dass Hugos Name und Gesicht überall bekannt sind. Er kann nie wieder in der Anonymität operieren, und auch alle Schritte, die seine Eltern unternehmen, werden von Freund und Feind mit Argusaugen beobachtet. Ihre Privatsphäre ist für alle Zeiten dahin.
Heute Abend werde ich meine Geschichte in einer Talkshow erzählen. Ich werde mich ins Zeug legen, um ein so deutliches Porträt wie möglich von dem psychopathischen Kriminellen Hugo Sanders zu zeichnen. Ich werde in allen Einzelheiten berichten, wie er mich bedroht hat, wie ich entführt und verhört wurde und was mir Dianne auf der Todesfahrt ins Krankenhaus anvertraute. Ich werde Fotos zeigen und einige Passagen aus ihrem E-Mail-Tagebuch vorlesen.
Manches aber werde ich nicht erzählen.
Sondern für mich behalten.
Während ich mich zum Aussteigen bereit mache, ertönt das melancholische Intro von »How Can We Hang On To A Dream« aus dem Radio. Normalerweise lasse ich mich nicht von Musik beeinflussen, dafür bin ich zu nüchtern, zu rational. Aber jetzt läuft es mir kalt den Rücken hinunter, und jeder Violinklang fährt mir durch Mark und Bein.
What can I do, still loving you
It’s all a dream
How can we hang on to a dream
How can it, will it be, the way it seems.
Unwillkürlich suche ich mit dem Daumen die Narbe in meiner Handfläche und reibe darüber.
Eine Frau mittleren Alters mit Strickhut geht an meinem Auto vorbei. Ihr laufen zwei Jagdhunde voraus, die gemeinsam einen Stock im Maul tragen, jeder an einem Ende.
Tim Hardin wurde schon vor einer Weile von Radiohead abgelöst, als ich endlich zu mir komme. Ich nehme den Rucksack vom Rücksitz und lege ihn auf meinen Schoß. Wieder wundere ich mich über das Gewicht des Gegenstands in seinem Inneren. Mit beiden Fäusten umklammere ich den Segeltuchbeutel.
Ich ziehe den Schlüssel aus dem Zündschloss, zupfe meinen Schal zurecht und steige aus.
Mein Ziel liegt nicht weit entfernt. Über den ersten Strand gelange ich zu dem Betonkai, der den See in zwei Hälften teilt. Rechts von mir liegt der flache Badebereich, links der Teil für die Wassersportler, tiefer, dunkler und wesentlich größer. Die Ufer dort sind unregelmäßig und teilweise von Bäumen und Sträuchern überwuchert. Manche Abschnitte werden ganz von dem dichten Schilf verborgen.
Auf der anderen Seite herrscht eine ganz andere Atmosphäre. An diesem Ufer ist es ruhig, fast einsam. Die Spaziergänger bleiben vorwiegend auf der Seite des Parkplatzes.
Ich gehe ein Stück den asphaltierten Gehweg entlang und biege dann nach links in einen schmalen, unbefestigten Pfad ein, der am Wassersportsee entlangführt. Der Pfad windet sich durch die kahlen Sträucher und Bäume. Zu meiner Linken rauscht das Schilf im Wind.
Ich marschiere ohne Unterbrechung, die Schultern hochgezogen und die Nase im warmen Schal verborgen, bis ich die Baumgruppe erkenne. Ich biege von dem Pfad ab, steige
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