Verfault 2 xinxii
gläsernen Gefängnis zu befreien. Ich hatte keine Ahnung, welche perversen Mächte hier am Werk waren, aber ich war eine Mutter, die zu kämpfen bereit war.
Ich begann jeden einzelnen Quadratzentimeter des Spiegels abzuklopfen, um eventuell irgendeine Unregelmäßigkeit zu entdecken, aber ich konnte nichts entdecken. Ich versuchte mithilfe einer Nagelfeile, die ich in meiner Handtasche trug, einen Teil des Rahmens zu lösen und brach mir dabei einen Fingernagel ab, wodurch Hornteile aus dem Nagelbett gerissen wurden. Es tat furchtbar weh, aber ich widmete dem Schmerz keine Aufmerksamkeit und riss unkontrolliert einen Teil des Rahmens ab. Ich konnte daraufhin durch einen kleinen Spalt hinten den Spiegel schauen, aber dort war nichts Auffälliges zu entdecken, sondern nur die üblichen Spuren der Zeit: Spinnweben und Staub. Es roch nach altem Holz und ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden, denn es war kein Weg zu entdecken, meinen Sohn zu befreien, der in einem winzigen Teil des Spiegels zu entdecken war. Vielleicht gab es dennoch eine Rettung und ich war bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Zuerst wollte ich zu dem alten Mann zurück, aber ich brachte es nicht fertig, Etienne alleine zu lassen und so wollte ich Plan B ausführen. Ich nahm meinen Ehering ab, den ich sowieso nicht mehr brauchen würde und wollte gerade mit dem darauf befindlichen Diamanten, den Spiegel zerschneiden, als mich jemand an der Schulter packte und zurückriss.
»Nein!«, drang ein Schrei an mein Ohr, »tun Sie dies nicht, sonst ist alles verloren!«
Es war die Stimme des Budenbesitzers und wir beide fielen zurück, worauf wir wie zwei willenlose Säcke rücklings auf den Boden krachten. Ich war sofort wieder auf den Knien und begann mit meinen Fäusten wie irre auf seinen Körper und sein Gesicht einzuprügeln. Keuchend beschimpfte ich ihn dabei und außer Stöhnen, brachte er keinen Laut hervor: »Sie verdammtes Dreckschwein! Sie Schwein. Was ist das hier für ein verdammter Ort? Was ist das hier für eine Hölle, sie perverser Mistkerl?« Ich entwickelte außergewöhnliche Kräfte und der alte Mann war zu schwach, um sich zu wehren. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich auf ihn einschlug, aber als ein leichter Duft von Blut in der Luft lag, ließ ich von ihm ab. Ich schaute zum ersten Mal bewusst auf ihn hinab und realisierte mit Erschrecken, wie übel ich ihn zugerichtet hatte! Sein Gesicht war aufgequollen wie ein Hefeteig und es gab keine Stelle, die nicht von seinem Blut bedeckt war. Ein Auge war zugeschwollen und groß wie ein Hühnerei, wogegen das andere nur noch ein Schlitz war. Ich hatte durch meine Schläge sein Gebiss zerbrochen, dessen Hälfte halb aus seinem Mund ragte. Blut sickerte aus seinen Mundwinkel und aus der Mitte seines Mundes sprudelten Bläschen empor, wie aus einem gashaltigen, stinkenden Tümpel. Sein rechtes Ohr hing wie ein abgeschnittenes Stück Schinken am Kopf herab und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich fast einen Menschen totgeschlagen hätte! Vor wenigen Sekunden hätte ich geschworen, dass ich dazu niemals in der Lage sein, aber nun war es fast geschehen, wenn es nicht noch geschah, denn der alte Mann sah alles andere als gut aus.
Mitleid fühlte ich nicht, aber mir war durchaus bewusst, dass mir der Kerl tot überhaupt nichts nutzen konnte und ich sprach ihn an: »Können Sie mich hören?« Ich rüttelte vorsichtig an seiner Schulter: »Hören Sie mich?«
Ein Röcheln ertönte aus dem Loch, das einmal ein Mund mit Lippen war und ich verstand ein leises: »Ja, Madame.«
Er war immer noch höflich und ich konnte es kaum fassen. Warum hatte ich bloß diesen Ort betreten? »Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht? Wie bekomme ich ihn aus dem Spiegel heraus, Sie Mistkerl?« Ich hob seinen Kopf.
Ein kurzes Husten.
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