Verfault 2 xinxii
seine gesamte Erscheinung drückte unendliche Weisheit aus. Seine übernatürliche Größe von mindestens zwei Beinlängen, der lange Bart, die durch die Sonne gegerbte Haut und die rasierte Kopfhaut flößten natürlichen Respekt ein.
Er sprach mich mit tiefer und mitfühlender Stimme an: »Ezmaeel, nach unseren Bräuchen gehört Dir als Ehemann das Recht des ersten Steins, wenn Du das Anrecht annimmst«
Ich nickte, schaute auf meine Frau, die eingegraben im Loch steckte, und nahm den Stein entgegen. Er war fast rund, da er aus dem Fluss stammte und endlose Zeiten vom Wasser bearbeitet worden war, wie ein Künstler eine Skulptur erschuf. Ich nahm in fest in die Hand und spürte seine Kälte, die im Widerspruch zur Hitze der Luft stand.
Der Älteste wandte sich in dieser Sekunde an die Menge: »Wie die Überlieferungen seit tausend Jahren bezeugen und es unser Gott Dan-Ak-Ma-aal«, ein Murmeln ging durch die Menge und alle Anwesenden nickten dreimal in Richtung Boden, »Verlangt, wird diese Sünderin ihre Strafe überführt! Möge Dan-Ak-Ma-aal ihr gnädig sein!« Erneutes Nicken der Menge, die immer noch still um meine Frau herumstand.
Der Älteste blickte wieder zu mir: »Ezmaeel! Wird jetzt den ersten Stein! Beginne!«
Ich trat einen Schritt vor und blieb vor dem Streifen aus Zweigen stehen, die die Markierung bildete, hinter der man werfen musste. Auch dieser Abstand hatte den Zweck, den Tod hinauszuzögern. Ich blickte auf das Gesteinsstück und drehte ihn mehrmals in der Hand. Ich konnte nicht auf die Schulter zielen, denn dies galt als Feigheit, vorbeizuwerfen war ehrenlos und stellte eine Beleidigung von Dan-Ak-Ma-aal dar. Ich musste den Kopf treffen und sogar als meine Frau mich flehend ansah, nahm ich meine ganze Kraft zusammen und warf den ersten Stein. Ich traf und es gab ein klackendes Geräusch, als würden zwei Steine gegeneinander geschlagen. Ich hatte den Mund und ihre Zähne getroffen. Sie schrie fürchterlich auf und klang wie eine gequälte Katze. Blut lief aus ihrem Mund, die Unterlippe war nicht mehr zu erkennen und sie spuckte einige Zähne aus. Der ansehnliche Stein landete vor ihr im Sand und schimmerte rötlich.
Ich trat zurück. Die Meute war an der Reihe und der Älteste zeigte stumm mit dem Zeigefinger auf einen Mann, um anzuzeigen, dass er werfen sollte. So ging es immer weiter. Frauen war es nicht erlaubt zu werfen, aber sie waren im Moment nicht mehr still, sondern sangen laut in mehligen Stimmen. Die nächsten Männer warfen die Steine, die sie seit Minuten in der Hand hielten und beinahe alle trafen. Die gellenden Schreie meiner Frau verstummten schließlich und ich wendete mich ab. Der Gesang der Frauen, das dumpfe Aufprallen der Steine und das Gegröle der Männer wurden leiser und leiser.
UNERWÜNSCHTES WACHSEIN
Wie jede Nacht wachte ich schreiend und schweißgebadet auf. Das Kopfkissen fühlte sich an, wie ein vollgesogener Schwamm und einige Sekunden später stürmte mein 5 jähriger Sohn ins Zimmer: »Mama. Geht es Dir nicht gut?« Es war so lieb gemeint von ihm und eigentlich müsste ich den Kleinen über alles lieben. Wie er so dastand, mit dem Spiderman-Schlafanzug und den verwuselten blonden Haaren. Aber ich konnte ihn nicht lieben! Wie furchtbar war es für mich, dies einzugestehen, aber es war so. Ich hoffte, dass Niklas es niemals spüren würde, aber ich fürchtete, dass jedes Kind fehlende Mutterliebe fühlt.
»Doch, doch. Mein Schatz, alles ist gut«, log ich ihn an.
»Waren es wieder die bösen Träume?«, fragte er mit zaghafter Stimme.
»Ja, Niklas. Die bösen Träume haben Mama wieder besucht, aber Du musst Dich nicht fürchten. Es sind nur Hirngespinste!«, ich log erneut, denn dies waren keine bloßen Fantasien und Niklas sollte nie erfahren, dass er
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