Verflixte Liebe
stieß seine Frau zur Seite und ging zur Tür. Als er dort ankam und sich umdrehte, um ein letztes Wort zu sagen, sah er gerade noch, wie sich Maria vornüber beugte und auf den Boden sank. Christiane stürzte zu ihr und griff sie an den Armen. Auch Raffaele war ihr hilfreich zur Seite gesprungen.
Maria röchelte. Sie griff sich ans Herz und fasste voller Panik nach Christianes Händen.
„Wir brauchen einen Arzt!“ Christiane sah Raffaele an. Er griff in seine Tasche, zog sein Handy heraus und wählte die Nummer der Ambulanz. Während er erklärte, wie man zum Palazzo kam, und dass man die letzten 50 Meter nicht fahren konnte, hielt sie Maria im Arm und redete beruhigend auf sie ein.
Marcello war inzwischen näher gekommen. Mit hängenden Armen, hilflos wie ein kleiner Junge, stand er neben den Frauen und sah zu ihnen herunter. In seinen Augen nistete Angst, aber sein Mund war verbissen zusammengekniffen, und kein Wort kam über seine Lippen. Zum ersten Mal erahnte Christiane, wie verloren und in sich eingeschlossen dieser Mann war. Die Mauern um sein Herz waren so dick wie die seines Palazzos!
Inzwischen war auch Alice hereingekommen. Als sie die Situation erfasste, holte sie Wasser und veranlasste Maria zu trinken.
Zehn Minuten später waren die Sanitäter da. Es schien Maria schon wieder besser zu gehen. „Es war nur ein kleiner Schwächeanfall!“ Sie wollte verhindern, dass man sie auf die Bahre packte. „Wenn Dr. Pirandello kommt, genügt das doch!“
„Aber du musst ins Krankenhaus!“ sagte Raffaele entschieden. „Ein Schwächeanfall hat Ursachen. Vielleicht das Herz? Man muss dich untersuchen.“
„Ach Unsinn. Ich will hier bleiben, bei meinem Enkelkind!“ Sie klammerte sich weiter an Christianes Hand fest. „Und bei Ihnen, Christiane!“
Die junge Frau öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ratlos und gerührt sah sie Tommasos Mutter an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Maria ihr je ihre Zuneigung schenken würde.
„Raffaele hat recht, Sie müssen in die Klinik!“, sagte sie, und dann leise: „Aber wir werden Sie besuchen, Milena und ich.“
„Versprechen Sie es?“
„Ja, ich verspreche es.“
Dankbar drückte Maria Christianes Hand an ihre Wange, dann ließ sie sie mit einem leisen Seufzen los.
Raffaele und Marcello begleiteten sie in die Klinik, Alice und Christiane blieben alleine zurück.
„Seltsam“, sagte Alice, trat ans Fenster und sah hinunter, wo die Sanitäter gerade mit der Bahre auf die Gasse traten. „Bei meiner Mutter fing es damals genauso an.“
Milena legte den Blumenstrauß auf Marias Bettdecke, streckte ihre Arme nach ihr aus und küsste sie. „Das ist gar nicht schön, dass du jetzt krank bist, Großmutter Forell.“
Maria drückte das Kind zärtlich an sich. „Sag doch einfach Oma zu mir - oder wenn du willst, Oma Maria.“
Milena legte den Kopf zur Seite. „Darf ich das jetzt sagen, weil du mich plötzlich lieb hast?“
„Ich hatte dich immer lieb, mein kleines Vögelchen. Vom ersten Moment an. Aber manchmal brauchen die Dinge eben ein bisschen Zeit.“ Dabei sah sie Christiane an, die neben dem Bett stand. „Na, nun nehmt euch doch einen Stuhl und setzt euch zu mir!“
Eine Weile plauderten sie, dann deutete Maria auf die Blumen. „Du könntest eine Vase für diesen wunderschönen Strauß besorgen, Milena. Traust du dir das schon zu?“
„Klar doch! Ich sage: Io volere avere un vaso.“
Maria lächelte. „Es heißt: Posso avere un vaso per favore? - Kann ich bitte eine Vase haben?“
Während Milena davon tanzte, sagte sie den Satz immer wieder vor sich hin, und die beiden Frauen sahen ihr schmunzelnd nach.
Als die Tür zugefallen war, sah Maria Christiane ernst an. „Sie werden es ja doch erfahren, darum sage ich es Ihnen lieber selbst: Ich habe Brustkrebs, und ich werde nicht mehr allzu lange leben.“
Erschrocken griff Christiane nach Marias Hand. „Krebs! Wie entsetzlich.“
„Ich weiß es seit einigen Wochen“, fiel ihr Maria ins Wort, „aber meinem Mann habe ich bisher nichts davon gesagt. Wissen Sie, in Wahrheit ist er sehr sensibel und auch ein bisschen schwach, man kann ihn nicht allzu sehr belasten. Nun ja, wie alle Männer eben!“ Sie lächelte müde. „Und weil ich diese Krankheit habe, war es mir auch so wichtig, Milena kennenzulernen. Ich wollte meine Enkelin wenigstens einmal gesehen haben, bevor ich sterbe!“ Maria beugte sich vor und sah Christiane tief in die Augen. „Ich habe sehr wohl bemerkt, wie
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