Verflixtes Blau!
gesehen. Sie wird ihm gefallen.«
» Hier gibt es zu viele gottverdammte Kathedralen. Egal, wohin ich mich wende, sitzen mir Gargoyles im Nacken.« Die Rue des Trois Portes lag tatsächlich genau zwischen drei großen Gotteshäusern. Etwa hundert Meter südöstlich stand die Kirche von Saint Nicolas du Chardonnet (Schutzheiliger des Kanisterweins), westlich stand die Kirche von Saint Séverin und hundert Meter nördlich die Kathedrale von Notre-Dame auf der Île de la Cité, wo sie über der Seine aufragte wie die Brücke eines großen Schlachtschiffs. Und da war Sainte Chapelle noch nicht mal mitgezählt, zwei Blocks hinter Notre-Dame, das Schmuckkästchen aus Glasmalerei, an deren Entstehung sie nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Und obwohl es im Falle von Sainte Chapelle vermieden worden war, vermutlich, weil der Farbenmann sich damals als schwachsinniger Glöckner von Notre-Dame einen Namen gemacht hatte, waren es doch die Scheiterhaufen, die sie am meisten hasste, was die Kathedralen anging. Und die Fenster. Und die Mutter Gottes zu sein. Vor allem aber die Scheiterhaufen.
Chartres, Frankreich, 1174
Sonnenaufgang. Schwarz ragten die Türme der Kathedrale in den Himmel und warfen lange, messerspitze Schatten über die Stadt.
Der Farbenmann führte das Mädchen zu einer breiten, ruhigen Stelle an der Eure, wo ein schlichter Kran aus langen Holzpfählen auf den Fluss hinausragte und wie ein trinkender Vogel den Schnabel ins Wasser hielt. Das Mädchen war dünn und kaum größer als er, mit schmutzigen, roten Haaren, die strähnig ihr Gesicht umrahmten. Sie mochte dreizehn oder zwanzig Jahre alt sein, das war schwer zu sagen, denn ihr Gesicht war die leere, ungrundierte Leinwand eines Einfaltspinsels und verriet keinerlei Interesse an dem, was um sie herum vor sich ging. Nur ihre grünen Augen und etwas Speichel auf der Unterlippe reflektierten das Licht.Alles andere war gedämpft von einer Patina aus Schmutz und Dummheit.
Er hatte sie am Morgen zuvor gefunden, hockend unter einen Kuh, aus deren Euter sie sich einen Milchstrahl in den Mund spritzte. Ein Holzeimer hatte dort gestanden, bereit fürs morgendliche Melken, doch war sie nie so weit gekommen, da der Farbenmann sie mit einem leuchtend roten Apfel und einem schimmernden Silberstück, das an einem Bändchen baumelte, von ihrer Aufgabe fortgelockt hatte.
» Nun komm doch! Komm mit!«
Rückwärts lief er durch das Dorf, führte sie zu einem Stall, den er gemietet hatte, wo er ihr den Apfel gab und Bier und Wein, der mit einem betäubenden Pilz versetzt war und sie schlafen ließ, bis er sie heute geweckt hatte. Mit dem Versprechen auf einen weiteren Apfel hatte er sie ans Flussufer gelockt.
» Zieh dich aus. Los!«, sagte der Farbenmann und machte eine Geste, dass sie sich ihr Kleid über den Kopf ziehen sollte.
Sie ahmte die Geste nach, begriff jedoch nicht, dass sie ihr Kleid, ein schmutziges, wollenes Ding, an dem sämtliche Nähte zerfranst waren, ablegen sollte.
Der Farbenmann hielt den Apfel hoch, dann zupfte er an dem Seil, das als Gürtel um ihre Taille verknotet war.
» Ausziehen. Zieh es aus. Apfel«, sagte der Farbenmann.
Das Mädchen kicherte bei seiner Berührung, doch alles, was sie an Konzentration aufbringen konnte, galt dem Apfel.
Der Farbenmann löste ihren Gürtel mit der freien Hand, dann hielt er den Apfel so, dass sie ihn gerade eben nicht erreichen konnte, während er sie abwechselnd kitzelte und ihr Kleid bis zu den Schultern hochschob, wobei sie zuckte und kicherte. Schließlich steckte er ihr den Apfel in den Mund und riss ihr das Kleid mit beiden Händen über den Kopf, während sie sich mit ihrem ganzen Sein um den Apfel zu stülpen schien. Sie stand im Schlick, splitternackt, bis auf die kleine Silbermünze, die an einem Band um ihren Hals hing.
Sie lachte, während sie in den Apfel biss, und den Geräuschen nach zu urteilen, die sie von sich gab, fürchtete der Farbenmann, sie könnte ersticken, bevor sein Werk getan war.
» Du magst Äpfel, was?«, sagte er. » Danach habe ich noch einen für dich.«
Er nahm den Lederranzen von seinem Rücken und holte die Materialien heraus, die er brauchen würde. Das Blau befand sich in einem irdenen Topf, der nicht größer war als seine Faust, ein trockenes Pulver, wie es die Glaser benötigten. Da die Farbe hier weder trocknen noch lange halten musste, wollte er sie mit Olivenöl binden, das er aus einer Flasche in eine flache Holztasse schenkte, um es mit dem Sacré Bleu zu
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