Verflucht sei Dostojewski
Lachtränen übers Gesicht; Momen fährt fort: »Stellt euch unseren Schirdel in einer solchen Situation vor! Sein Herz fing wie wild an zu klopfen; er wusste nicht, was er tun sollte; seine Hand zitterte vor Angst, ein Mudschaheddin könnte auf dieses traumhafte Geschöpf mit den so weißen, so glatten Arschbacken schießen. Also nahm er ihn gefangen und brachte ihn, als die Operation erfolgreich zu Ende geführt war, zu Kommandeur Nawroz, der ihm den Befehl erteilte, ihn Kommandeur Parwaiz zu überbringen. Da ist er aber an den Richtigen geraten! Schirdel hat sich auf der Stelle mit Handschellen an das hübsche Kerlchen gebunden. Und den Schlüssel hat er verschluckt!«
Sie krümmen sich vor Lachen. Auch Rassul lacht, aber nur innerlich. Und als sich das Gelächter etwas gelegt hat, erzählt Jano weiter: »Kommandeur Parwaiz hat sie mitgenommen. Er hat sich lange mit Schirdel unterhalten. Der aber wollte nichts hören. Er war wie verwandelt. Für ihn war alles zu Ende, der Dschihad, das Gebet … Von morgens bis abends spazierten die beiden gemeinsam herum, Hand in Hand. Schirdel sang ihm vor, brachte ihm unsere Sprache bei … Und eines Abends waren sie verschwunden.« Er wendet sich an Momen: »Habt ihr sie danach noch mal wiedergesehen?«
»Nein, nie«, antwortet dieser und wischt sich die Tränen weg. »Was für eine Zeit!«
»In der Tat, was für eine Zeit! Selbst wenn man sich nicht verstand, den Russen gegenüber hielt man zusammen.«
»Genau!«
»Und heute, da prügeln sie aufeinander ein. Und warum?«
»Frag doch den Kommandeur Nawroz!«
»Und du, frag deinen Kommandeur Parwaiz!«
Das Lachen verstummt.
In der tschaichana breitet sich dumpfer Hass aus.
Rassul steht auf, gibt Jano ein unauffälliges Zeichen – der ihn grüßt, indem er die Hand hebt – und macht sich davon.
Kaum ist er am Ende der Straße angelangt, lassen ihn zwei Schüsse nicht weit von ihm zusammenzucken.
In der tschaichana ?
Vielleicht.
Er bleibt stehen, kehrt um.
Sollen sie sich doch gegenseitig umbringen!
Er setzt seinen Weg zu Suphias Haus fort.
ER KLOPFT AN DIE Tür und wartet. Die ängstliche Stimme von Suphias Mutter ertönt: »Wer ist da?« Als sie keine Antwort erhält, fragt sie noch einmal. »Es ist Rassul!«, ruft Dawud, Suphias Bruder, der sich über den Rand des Daches beugt.
Die Mutter öffnet die Tür, erblickt Rassuls zerschrammtes Gesicht und erschrickt: »Was ist denn mit dir passiert?« Nichts, ich habe mich beim Rasieren geschnitten, nichts weiter, hätte er gern geantwortet, ohne über die Klinge des Schicksals zu philosophieren. Er mimt die Geste und überschreitet unter den Klagen der Mutter die Schwelle: »Wir haben dich gestern Abend erwartet. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.« Er nickt mit dem Kopf, um zu sagen, er wisse schon. Er kann sich nun mal nicht entschuldigen.
Die Mutter wirft einen Blick in die leere Gasse, hält nach jemandem Ausschau; erstaunt, dass Rassul allein ist, fragt sie: »Wo ist Suphia?« Ist sie denn gar nicht nach Hause zurückgekehrt?, sieht er sie fragend an. »Ist sie nicht bei dir?« Nein. Rassuls Kopfschütteln beunruhigt die Mutter. Wieder sucht sie die Gasse ab, dann dreht sie sich zu ihm um und lässt die Tür in der Hoffnung offen, ihre Tochter doch noch auftauchen zu sehen. »Sie wollte mit dir zusammen zu nana Alia gehen, um abzurechnen …« Zu nana Alia! Er stützt sich an der Wand ab, um nicht zu taumeln. »Sie hat mir gesagt, du hättest sie gebeten, bei nana Alia aufzuhören. Vor zwei Tagen ist ihre Tochter Nazigol vorbeigekommen, um mir zu sagen, wenn Suphia nicht mehr bei ihr arbeiten wolle, müsse sie erst die ausstehenden Mieten bezahlen. Gestern haben wir den ganzen Tag auf dich gewartet, um mit dir darüber zu reden. Als du nicht gekommen bist, ist sie hingegangen, aber …« Sie ist gestern auch hingegangen? »… nana Alia war nicht da.« Sie war nicht da? Und was ist mit ihrer Leiche? »Suphia wollte heute wieder hin. Ich habe sie gebeten, mit dir zu gehen.« Mit mir? »Warst du nicht zu Hause?«
Doch. Aber warum hat sie mir nichts gesagt? In deinem Zustand, Rassul, wagt niemand mehr, etwas von dir zu verlangen. Mit deinem für die anderen völlig unerklärlichen Schweigen erweckst du den Eindruck, als fühltest du dich von allen belästigt … »Rassul, ich mache mir große Sorgen um Suphia. Pass gut auf sie auf. Lass uns nicht so im Stich, ganz allein und ohne Nachricht von dir. In Zeiten wie diesen verschwinden junge
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