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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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mit der Hand über die Stelle, wo die Leiche gelegen hat. Alles ist trocken, sauber. Ist das derselbe Teppich? Wer hat eine solche Reinigung vornehmen können, so rasch und so gründlich? Das ist das Werk eines Könners und nicht zweier Gören wie Nazigol und Suphia!
    Verunsichert steht er auf und will aus dem Zimmer gehen, als er auf dem Schrank eine Schachtel sieht. Er schaut hinein, es sind nur sechs Päckchen Marlboro. Er nimmt eines heraus, stellt die Schachtel an ihren Platz zurück. Und die fünf anderen, warum lässt er die da? Er steckt alle ein.
    Als er an der halboffenen Küchentür vorbeikommt, bemerkt er auf dem Tisch einen vollen Teller. Er geht hinein, und ausgehungert, wie er ist, nimmt er mit den Fingern einen großen Klumpen klebrigen Reis und stopft ihn sich gierig in den Mund. Es schmeckt nicht. Er spuckt alles auf den Teller zurück. Dann untersucht er sämtliche Winkel des Raumes. Er findet noch immer nichts, was ihn einer Auflösung des Geheimnisses näherbringt. Er greift sich die Streichhölzer, die auf dem Tisch liegen, und geht hinaus. Zündet eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug. Draußen findet er Suphia, die auf einer Terrassenstufe sitzt, den Blick auf die Eingangstür geheftet. Noch immer beunruhigt und zornig, fragt sie: »Was geht hier vor? Warum sagst du nichts?« Rassul versucht, indem er die Hände kreisen lässt, zum Ausdruck zu bringen, wie satt er diese Frage hat. »Hast du die Sprache verloren?« Ja, bedeutet er ihr mit einem Nicken, obwohl er weiß, dass Suphia ihm nicht glauben wird. »Was hast du da oben gesucht?« Er bläst ihr den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht. »Zigaretten?« Sein Blick ruht auf ihr. Besorgt setzt er sich neben sie. Tausendundeine Frage geht ihm durch den Kopf. Um wie viel Uhr war sie gestern hier? Hat sie jemanden gesehen? Vor dem Mord war sie auf jeden Fall nicht da, sonst hätte nana Alia es ihm gesagt.
    Nein, sie ist nicht die Frau im himmelblauen Tschaderi. Sonst hätte sie sich nicht einverstanden erklärt, im Haus zu bleiben.
    Wenn sie geblieben ist, dann nicht, um das Haus zu hüten, und nicht, um dir zu helfen. Sie wollte mit dir allein sein. Eine solche Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage, ein Schäferstündchen! Sie hat dir tausendundeine Sache zu sagen. Tausendundeine Lust, dir zuzuhören …
    Der liebende Blick Suphias legt sich auf Rassuls Lippen. Die Rauchkringel hüllen sie beide ein.
    »Du hast doch gesagt, du wolltest nicht mehr rauchen.«
    Er zieht noch fester an seiner Zigarette und bläst ihr den Rauch in die Haare. Sie lachen.
    Suphias Lachen, welch ein Glück! Er liebt dieses kristallklare, unschuldige Lachen, das so zerbrechlich ist, dass es sich bei der Andeutung eines Blickes, einer winzigen Geste blitzschnell davonmacht, aber weiter ihre Augen leuchten lässt.
    Das Geräusch von Schüssen und Granaten in der Ferne kann die friedliche Ruhe, die zwischen ihnen eingekehrt ist, nicht stören.
    Suphia legt schüchtern ihre Hand auf Rassuls Knie in der Hoffnung, dass er sie nimmt, dass er sie streichelt, dass sie beide dieses zärtliche Zwischenspiel genießen können. Aber seine Hände rühren sich nicht. Sie zittern, sind mit Schweißperlen bedeckt.
    »Hast du beschlossen, nicht mehr zu reden?«, fragt Suphia verzweifelt, die Augen wieder auf Rassuls versiegelte Lippen geheftet.
    Er zögert, dann steht er plötzlich auf und sucht im Haus nach Stift und Papier, um ihr alles aufzuschreiben, doch ein lautes Geräusch an der Tür unterbricht ihn. Jemand versucht sie aufzudrücken. Ist Nazigol schon zurück? Rassul schnippt seine Zigarette weg und eilt in den Flur, um sich im Halbdunkel zu verstecken. Suphia geht zur Tür. »Wer ist da?«
    » Nana Alia?«, fragt eine tiefe Stimme, eine Männerstimme. Erschrocken antwortet Suphia: »Nein, sie ist nicht da.«
    »Wann kommt sie zurück?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wer bist du? Nazi?«
    »Nein, Nazigol ist auch nicht hier. Ich bin das Dienstmädchen.«
    »Ach nein! Bist du Suphia?«
    »Nein …«
    »Doch! Sei so lieb, mach auf! Ich bin’s, Kommandeur Amer Salam.« Er drückt mit Gewalt gegen die Tür; Suphia hat große Mühe, sie mit ihren zitternden, zarten Händen geschlossen zu halten, und ruft: »Nein, nein, ich bin nicht Suphia … Man hat mir gesagt, ich soll niemandem aufmachen.«
    »Bin ich etwa niemand ?! Los, mach auf!« Wieder versucht er die Tür aufzustoßen. Vergeblich. Suphia legt rasch die Kette vor. Amer Salam rüttelt stärker.
    Da tritt Rassul aus

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