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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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einen Schutzwall mache!‹« Kaka Sarwar unterbricht seine Erzählung, um einen Schluck Tee zu trinken. » Dhu-l-Qarnain sagte also: ›Bringt mir die Eisenstücke!‹ Als er schließlich den Wall zwischen den beiden Berghängen gleichmäßig hoch gemacht hatte, sagte er: ›Blast das Feuer an!‹ Als er das Eisen schließlich zum Glühen gebracht hatte, sagte er: ›Bringt mir flüssiges Metall, damit ich es darübergieße!‹ Nun konnten sie nicht über den Schutzwall herüberkommen und ihn auch nicht durchbrechen. Er sagte: ›Das ist ein Erweis der Barmherzigkeit von meinem Herrn. Wenn aber das Versprechen meines Herrn in Erfüllung geht, läßt er ihn zu Staub zerfallen. Und das Versprechen meines Herrn ist wahr.‹«
    »Kaka Sarwar, und wann soll das Versprechen in Erfüllung gehen?«
    »Mein lieber Hakim, es ist bereits in Erfüllung gegangen! Es heißt, dass es den Horden der Gog und Magog am Jüngsten Tag gelingen wird, eine Bresche in die Mauer zu schlagen, und dass Allah es zulässt, dass sie über die Erde herfallen. Sie werden die Welt beherrschen und die menschliche Rasse austilgen; dann werden sie Allah zum Tod verurteilen, indem sie Pfeile gen Himmel werfen … Wo ist das Schillum?« Man bringt es. Er raucht und fragt: »Kennt ihr diese Stelle aus dem Koran?«
    »Nein.«
    »Unglück über euch! Dann wisst ihr auch nicht, wo sich diese Stadt befindet?«
    »Nein.«
    »Unglück über euch! Dieser Ort ist hier, es ist Kabul!« Einen letzten Zug, und er zieht sich in eine Ecke zurück. » Kaka Sarwar, du willst uns doch nicht mit dieser schrecklichen Geschichte alleinlassen! Sag uns ein Gedicht auf, das uns Freude macht!«, bittet ein kleines Männchen, das neben Rassul sitzt. Mit geschlossenen Augen trällert kaka Sarwar: »Oh, Herr der Fatwa, wir sind schlauer als Du / Wir können noch so betrunken sein, wir sind doch nüchterner als Du / Du trinkst das Blut der Menschen, wir trinken das der Reben / Sei gerecht, wer ist nun blutdürstiger, wir oder Du?«
    »Ich!«, ruft eine Stimme. Sie entlockt allen ein dumpfes Lachen. Dann Stille, Lähmung, Traum … Die Welt ist nur noch ein materieloser Körper, ohne Gewicht, transparent. Und mittendrin Rassul. Er schwimmt. Ganz nackt. Unschuldig. Leicht und zerbrechlich. Wie er diesen Zustand der Gnade liebt. Ein schöner Abgrund, ein Hanfgedicht.
    »Rassul! Rassul!« Jemand schüttelt ihn. Langsam richtet er sich auf, öffnet die Augen einen Spalt und hört durch eine Wolke hindurch einen Jugendlichen, der mit ihm spricht: »Hallo. Razmodin schickt mich. Er hat mich gebeten, dich zu holen und ins Hotel Metropol zu bringen. Ich habe überall nach dir gesucht …« Rassul betrachtet den Jungen aus der Tiefe seines Abgrunds. »… Ich bin zu dir nach Hause gegangen, aber da warst du nicht. Ich bin ins Haus des verstorbenen Moharamollah gegangen …« Er soll bloß aufhören! Rassul fühlt sich nicht in der Verfassung, sich sämtliche Stationen der Suche anzuhören. Als der Junge sieht, wie sich Rassul eine Zigarette anzündet, ruft er begierig aus: »Das sind ja Marlboros!« Rassul bietet ihm eine an. Erst zögert der Junge, dann nimmt er sie und setzt sich Rassul gegenüber. »Deine Verlobte hat gesagt, sie hätte dich unterwegs verloren. Da bin ich wieder zu dir nach Hause gegangen, und dein Nachbar hat mich hierher geschickt …« Schon gut, schon gut, deutet Rassul an, er hat verstanden. Der Junge soll endlich schweigen, damit er zu sich kommen kann.
    Als er wieder einigermaßen bei Sinnen ist, blickt er sich im Raum um und sieht nichts als leblose, stumme Gespenster. »Er ist vom Tod gestreift worden, dein Cousin!« Vom Tod gestreift! Warum das denn?, fragt ihn Rassul mit den Augen, die Brauen hochgezogen. »Eine Granate ist gleich hinter dem Hotel eingeschlagen. Hat ziemlichen Schaden angerichtet.« Und Razmodin, ist er unverletzt?
    Rassul springt auf und verlässt das Rauchzimmer, gefolgt von dem Jungen. Er rennt – immer noch hinkend –, bis er vor Razmodins Büro ankommt, das sich im Untergeschoss des Hotels befindet. Die Tür steht halb offen. Er sieht, wie sein Cousin herumliegende Papiere vom Boden einsammelt.
    Nichts Schlimmes also.
    Da kann ich ja wieder gehen.
    Ja, geh! Sonst bekommst du wieder dieselben Worte, dieselben Vorwürfe, dieselben Wutausbrüche wie heute Morgen zu hören … und noch schlimmere, weil ihm nicht entgehen wird, dass du wieder angefangen hast, Haschisch zu rauchen.
    Er wendet sich ab, aber Razmodin bemerkt ihn. Er

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