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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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weiter weg hinsetzt.
    Schweigen.
    Ein düsteres Schweigen, das Rostam zu brechen sucht, indem er erst Rassul eine Zigarette anbietet – die dieser ablehnt – und danach Razmodin; dann nimmt er den Faden seiner Rede wieder auf: »Natürlich hat mir deine teure Mutter gesagt, dass sie dich in einem Brief über die bedauernswerten Ereignisse in Kenntnis gesetzt hat … Aber ich sehe, dass ihre Post dich nicht erreicht hat …« Die Art, wie Rassul mit dem Kopf nickt und die Augenbrauen bewegt, um zu bedeuten, dass er den Brief sehr wohl erhalten hat, verunsichert den Kommandeur noch mehr. Hilflos beobachtet er, wie Rassul anfängt, in seinen Büchern zu kramen, den Brief seiner Mutter zum Vorschein bringt und ihn vor den verdutzten Augen Rostams und Razmodins schwenkt, dann an seinen Platz zurückgeht und lässig nach einer Plastikklatsche greift, um die Fliegen zu verjagen, die um das kischmisch-panir -Tablett herumschwirren.
    »Dann hast du ihn doch erhalten?«, fragt der Kommandeur.
    Ja.
    »Aber … deine ehrwürdige Mutter denkt, dass du nicht Bescheid weißt über den Märtyrertod deines Vaters! Nachdem sie diesen Brief abgeschickt hat, hat sie lange auf dich gewartet …«
    Vorwurfsvoll fixiert Rassul Razmodin, der den Blick gesenkt hat, auf seine Fingerspitzen geheftet, aus Angst, er könne seinen Cousin sagen hören: »Mein Vater hat, ob tot oder lebendig, keine große Bedeutung für mich.« Razmodin hat offenbar mit Rostam nicht darüber gesprochen. Aber warum nicht? Das hätte er mal tun sollen!
    Rassul schlägt mit der Klatsche auf eine Fliege, die sich vor ihm niedergelassen hat, und schnippt ihre Leiche Richtung Tür. Rostam hat die Botschaft verstanden; er kann seinen Zorn nur mit Mühe zurückhalten. »Du weißt, dass für einen jungen afghanischen Moslem die Pflichten gegenüber seinen Eltern über allem anderen stehen. Das Blut des Vaters wiegt schwer. Wir haben alle auf dich gewartet, damit du schwörst, ihn zu rächen … Aber …« Er wird unterbrochen von einem Schlag mit der Klatsche, die einer weiteren Fliege den Garaus macht. Ärgerlich wendet er sich an Razmodin: »Du weißt, wie sehr seine Mutter und seine Schwester leiden werden, wenn sie vom Verhalten dieses jungen Mannes ihnen und dem verstorbenen Ibrahim gegenüber erfahren?« Razmodin stimmt mit einem Nicken zu, während er sich vorstellt, was Rassul denkt: »Nein, sie müssen nach dem Tod meines Vaters erleichtert sein.«
    Rostam, durch Rassuls Stummheit mehr und mehr aus der Fassung gebracht, nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette und wartet. Vergeblich. Er wird ungeduldig. »Im Namen Allahs, sag was! …« Rassul legt die Fliegenklatsche weg und mustert ihn lange. Razmodin weiß genau, was in Rassul vorgeht, aber versteht nicht, warum er stumm bleibt. Aus Respekt? Das würde ihm nicht ähnlich sehen. Er sucht bestimmt nach den passenden Worten, um wie gewöhnlich über all jene herzuziehen, die im Namen der Tradition, der Ehre oder der Religion die Leute ermuntern, sich gegenseitig umzubringen, sich zu rächen, den Krieg weiter zu schüren … »Weißt du, wer deinen Vater umgebracht hat?« Rassul zuckt die Schultern, es interessiert ihn nicht. »Es war ein Dieb, ein Gauner, der ihn für Geld getötet hat … für Geld!« Dann war es wohl einer, der Hunger hatte. Sich an einem Hungernden zu rächen ergibt keinen Sinn. Mein Vater hat doch als Kommunist angeblich im Namen der Gerechtigkeit für die Hungernden gekämpft; er tötete die Reichen, um den Armen zu helfen, ist es nicht so? Da müsste sich seine Seele doch eigentlich freuen zu sehen, dass ein paar Hungernde dank seines Geldes zu essen bekommen!
    Allein schon bei der Vorstellung, was Rassul im Kopf herumgeht, ist Razmodin entsetzt. Aber er stellt staunend, nein, nicht staunend, erleichtert fest, dass Rassul schweigt. Das muss genutzt werden. Also wendet er sich an Rostam, um ihm seine Entschuldigungen vorzubringen, »meinem Cousin geht es schon seit einigen Tagen nicht gut …«, doch er wird von Rassul unterbrochen, der plötzlich aufsteht, Rostams Schuhe vor die Tür stellt und ihn mit einer Handbewegung auffordert, das Zimmer zu verlassen.
    Außer sich springt Rostam auf und schreit: »Was für ein beadab ! Was für ein undankbarer Bursche!«, dann, an Razmodin gewandt: »Würde es der Respekt gegenüber seiner Mutter und seiner Schwester nicht verbieten, ich würde ihm auf der Stelle sämtliche Eingeweide herausreißen!« Er spuckt auf den Boden, vor Rassuls

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