Verflucht sei Dostojewski
Fahrzeuge mit der Aufschrift » UN «. Rassul geht entschlossenen Schrittes auf das Hotel zu. Am Eingang wird er von zwei bewaffneten Männern aufgehalten. Er bewegt die Lippen, um Razmodins Namen zu artikulieren.
»Was?«
Plötzlich wird alles von lautem Gebrüll übertönt. Männer tragen die Leiche eines »Märtyrers« und rufen: »Allahu akbar!« , und: »Rächen wir unsere schahid !« Die beiden Wächter lassen Rassul stehen, folgen dem Zug und verschwinden. Er betritt das Hotel. In der Halle wimmelt es von Bewaffneten und Journalisten. Alle in Erwartung von etwas. Wovon? Das scheint niemand zu wissen. Alle sind auf der Lauer. Rassul nähert sich der Treppe, die zu Razmodins Büro führt, doch als er am anderen Ende des Flurs Kommandeur Rostam in Begleitung zweier Männer bemerkt – der beiden, die er in Parwaiz’ Büro gesehen hat und die dem Kommandeur aus Mazar-e Scharif einen abgrundtiefen Hass entgegenzubringen schienen –, drückt er sich in eine Ecke. Jetzt sehen sie trotz der angespannten Stimmung, die im Hotel herrscht, vergnügt aus, wie Verbündete …
Rassul erreicht unbemerkt Razmodins Büro. Razmodin ist nicht da. Er muss nach Mazar aufgebrochen sein, um Donia zu holen. Das ist ein Mann, ein echter Mann. Tut, was er zu tun hat. Umso besser.
Ja, umso besser, denn das enthebt dich deiner Verantwortung.
Ich habe es satt. Betrachtet mich als Feigling. Als Nichtsnutz. Ich bin ein missratener Sohn, ein missratener Freund, ein missratener Feind, ein missratener Student, ein missratener Verlobter, ein missratener Verbrecher … Weiter nichts. Lasst mich in Ruhe, damit ich mich berauschen, in den romantischen Abgründen des Hanfs schweben kann.
Und er klopft an die Tür der saqichana . »Wer ist da?«, fragt Hakim, der Eigentümer, der durch die Schlitze in der Tür schaut. »Ist es Rassul?« Ja. »Aber welcher? Der Heilige oder der Haschischin?«, ertönt die Stimme von kaka Sarwar. Hakim öffnet lachend die Tür und zieht Rassul hinein. Wie immer wirkt in den Rauchschwaden alles verschwommen und schwebend, wie in einem Traum.
Hakim schließt die Tür und weist Rassul einen Platz im Kreis der Rauchenden zu, neben einem jungen Mann in Trance. »Jalal, mach ihm Platz.«
Ein junger Mann neben Jalal rückt beiseite und sagt: »Verdirb ihm seinen Spaß nicht. Jalal schwebt im siebten Himmel. Wenn er sich rührt, fällt er runter. Komm hierher, Kleiner, zu Mostapha. Hier ist es genauso gemütlich.« Er lässt Rassul neben sich Platz nehmen und reicht ihm das Schillum. »Hier, für dich, den frisch Eingetroffenen.« Rassul befreit die Brust von der schwefeligen Luft der Stadt, dann atmet er den Haschischrauch so tief ein, wie es ihm seine Lungen erlauben.
»Diesen Jalal hat die Mutter mit Hilfe von Opium zur Welt gebracht. Er soll sehr dick gewesen sein. Das Opium hat ihr die Kraft gegeben, ihn zu gebären. Er ist mit Opium geboren, im Rausch … Was für ein Glückspilz!« Während er den Rauch ausatmet, wirft Rassul einen kurzen Blick auf Jalal, der den Kopf hebt und murmelt: »Hat der Krieg noch nicht begonnen?« Mostapha flüstert: »Was wird draußen erzählt, wieder mal ein Staatsstreich?« Rassul zuckt die Schultern, um zu sagen, dass er nichts weiß, und nimmt noch einen Zug.
»Er weiß auch nichts, kaka Sarwar!«, sagt Mostapha und zeigt auf Rassul. »Also ist er nicht Rassul, der heilige Gesandte.«
Kaka Sarwar schüttelt den Kopf: »Nichts zu wissen bedeutet Weisheit! Ja, dieser junge Mann hat alles verstanden. Er weiß alles, nur weiß er es nicht.«
Der Kopf eines anderen Mannes taucht aus dem Rauch auf: »Es sind schon einige Jahre, dass wir nichts wissen und die Welt nichts von uns wissen will. Ist das auch Weisheit?«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Dann versteh ich nichts mehr von dem Zeug, das du uns erzählst, kaka Sarwar.«
»Hör zu: Wenn du sagst, dass du nichts weißt, dann ist das der Beginn der Weisheit. Und wenn du sagst, dass du nichts wissen willst, heißt das, dass du das absolute Wissen erreicht hast. Weißt du irgendetwas über diesen Krieg?«
»Nein.«
»Sehr gut. Du weißt, dass du nichts weißt. Das ist schon eine ganze Menge! Und wenn du den Grund für diesen Krieg begreifst, möchtest du am liebsten überhaupt nichts mehr wissen. Los, gebt mir das Schillum!« Er raucht, dann fährt er fort: »Ein Weiser unter Weisen namens Attar sagte, dass sich der Reisende im Tal des Erstaunens – im vorletzten Tal der Weisheit, das er Wadie Hayrat nannte – wundern
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