Verflucht sei Dostojewski
Füße. Doch noch bevor dieser reagieren kann, schiebt Razmodin Rostam zur Tür hinaus.
Rassul schließt ab und bleibt mitten im Zimmer stehen, hört, wie Razmodin, der hinter dem Kommandeur herläuft, sagt: »Ärgern Sie sich nicht, nehmen Sie es ihm nicht übel. Er ist krank, ich schwöre es. Seit dem Tod seines Vaters ist er sonderbar. Seit einem Monat beklagen sich alle über ihn …« Seine Stimme entfernt sich in der Gasse, verschwindet.
Von seinem Zorn befreit, setzt sich Rassul mit einem triumphierenden Lächeln aufs Bett. Er greift wieder zur Fliegenklatsche und schaut sich auf der Suche nach einem neuen Opfer um. Sobald eine Fliege auf seiner Matratze gelandet ist, geht die Klatsche nieder und befördert die Leiche anschließend Richtung Tür.
Jetzt, wo er sich wieder beruhigt hat, nimmt er den Brief seiner Mutter und liest ihn von Anfang bis Ende durch. Gott sei Dank hat seine Mutter weder eine so schöne Schrift noch eine so schöne Art, die Dinge über zehn Seiten auszubreiten wie Raskolnikows Mutter! Dieser Brief hier ist kurz, schlecht geschrieben, beinahe unleserlich.
Er liest noch einmal die Sätze, die seine Schwester Donia betreffen. »Da ist ein Mann, reich und einflussreich, der um die Hand deiner Schwester anhält …« Aber wer denn? Warum hat seine Mutter den Namen nicht genannt? Reich und einflussreich , das bedeutet, dass er kein Unbekannter ist. Bestimmt handelt es sich um einen umstrittenen Mann von zweifelhaftem Ruf. Darum will seine Mutter nicht, dass er weiß, von wem die Rede ist.
Er überfliegt das Blatt voller Sorge, die Wörter zu finden, die er ungern lesen möchte. Aber da sind sie, die Wörter, leichter zu entziffern als der Rest: »Donia ist einverstanden. Aber sie will zuerst Dein Einverständnis. Du bist jetzt der Mann in unserem Haus … « Er faltet den Brief. »… der Mann in unserem Haus.« Als er den Brief zum ersten Mal gelesen hat, hat ihn dieser Satz mit Stolz erfüllt, » der Mann in unserem Haus« , jetzt aber merkt er, dass er eine andere, beinahe hinterhältige Botschaft enthält. Die Wörter haben eine andere Färbung, einen anderen Klang. Sie sind nicht mehr naiv, unschuldig. Sie verströmen Ironie, Vorwürfe, Unterschwelliges …
Der Mann in unserem Haus!
Nein, deine Mutter wäre nicht fähig, dir einen solchen Brief zu schreiben. Dieser abscheuliche Eindruck kommt aus dir selbst. Lies ihn ein anderes Mal wieder, und du wirst nichts als Weisheit und Freundlichkeit darin finden.
Er steckt den Brief in ein Buch. Aber nicht in irgendeines. In einen der Bände von Verbrechen und Strafe ,versteht sich! Und schlimmer noch: zwischen die Seiten, wo Raskolnikow den Brief seiner Mutter liest.
Jetzt übertreibst du aber, Rassul!
Er hat das Buch kaum an seinen Platz zurückgelegt, als die Tür aufspringt und Razmodins Stimme durchs Zimmer dröhnt: »Bist du lebensmüde, oder was? Willst du, dass dir eines Tages eine verdammte Kugel durch den Kopf gejagt wird? Was hast du eigentlich genau vor? Du bist wirklich krank.« Rassul schaut ihn an, überlegt, ob er ihm den Brief seiner Mutter zeigen soll. »Warum hast du dich wie ein Arschloch benommen? Weißt du, dass er meine Tante und Donia bei sich aufgenommen hat, damit sie nicht allein sind? Er hat den ganzen Weg zurückgelegt, um dich zu beruhigen und dir Geld zu geben. Hier!« Er zieht ein Bündel Scheine aus der Tasche und wirft es auf den Rand der Matratze. »Nicht nur dass du dich nicht bedankst, du sprichst nicht einmal mit ihm! Warum?« Aufgewühlt öffnet Rassul das Buch wieder, nimmt den Brief seiner Mutter heraus und hält ihn Razmodin hin. Lies! Und er liest ihn. Jedes Wort trifft ihn wie ein Schlag, drückt ihm den Kopf noch etwas tiefer zwischen die Schultern, lässt seine Hand erzittern. Da hat er ihn, den Grund für dieses Geld! Genau, Rostams Großzügigkeit, seine Freundlichkeit sind nicht Rassuls schönen Augen geschuldet. Mit diesem Geld will er Donia kaufen. Donia, deine Cousine. Die du liebst und heiraten willst. »Das war also die ›gute Nachricht‹, die dieser Hurensohn dir verkünden wollte?«, fragt Razmodin niedergeschlagen. Darum also hat Rassul Rostam so schändlich behandelt, er hat es nur getan, um den Kommandeur daran zu hindern, dir die Nachricht zu verkünden. »Donia!«, ruft Razmodin aus. Er packt Rassul bei den Schultern und fragt ihn mit erloschener Stimme: »Aber … Aber warum hast du mir nichts gesagt?« Rassul befreit seine Schultern. »Wenn du mir etwas gesagt
Weitere Kostenlose Bücher