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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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Qhazi sahib , nein, dieser junge Mann ist mein Zeuge. Er war im Mausoleum, er hat mich gesehen …« Der Richter, überrascht, gibt dem Wächter ein Zeichen, Rassul zurückzuhalten; dann sagt er, indem er auf den Alten zeigt, der inzwischen neben Rassul steht, zum Gerichtsschreiber: »Zunächst einmal muss eine Akte für den da erstellt werden.«
    »Wegen welchen Vergehens?«
    »Diebstahl von Tauben aus dem Mausoleum«, antwortet der Richter, und der Aufseher des Mausoleums bestätigt: »Er kommt sie jeden Tag füttern, mit Weizen«, wendet sich an den Richter, »mit Weizen, verstehen Sie!«, dann an den Gerichtsschreiber, »Weizen zu füttern ist eine Sünde. Und danach stiehlt er die Tauben. Wissen Sie, warum?«, wieder an den Richter, »um sie zu braten und zu essen. Seine Nachbarn haben es mir gesagt. Sie haben mir gesagt, bei ihm riecht es jeden Tag nach Gebratenem …«
    »Ich habe nie gebratene Tauben gegessen. Lahaulobillah! Die Tauben vom Schah-e-Do-Schamschera-Wali-Mausoleum? Lahaulobillah! Er lügt!«, schreit der Alte und geht auf den Aufseher los: »Weißt du, dass Verleumdung eine der größten Sünden ist?«
    »Und was hatte dann diese Taube in deiner Tasche zu suchen?«, fragt der Aufseher, dann sagt er zum Qhazi : »Ich habe sie selbst in seiner Tasche gefunden.« Die Taube fliegt durchs Zimmer. Der Alte geht empört auf den Richter zu: »Sie hat aus meiner Tasche gefressen. Die Tauben von Schah-e Do Schamschera Wali lieben mich, sie vertrauen mir. Schauen Sie!«, er pfeift, die Taube fliegt zu ihm und setzt sich auf seine Schulter. »Sie vertraut mir«, dann beschwört er den Aufseher, »lüge nicht, Bruder! Du bist der Wächter des Mausoleums, schämst du dich nicht, vor dem Qhazi sahib und vor Allah einen Muslimbruder zu Unrecht anzuklagen?«, und er fleht Rassul an: »Du hast mich dort gesehen, neulich. Sag ihnen, was ich da gemacht habe …«
    »Dieser junge Mann ist ebenfalls in die Angelegenheit verwickelt?«, fragt der Qhazi. Rassul tritt einen Schritt vor, um zu sagen: »Ich habe ihn nur einmal gesehen, vor zwei, drei Tagen. Meine Verlobte und ich waren zum Beten dort. Und ich …«
    »Qhazi sahib , Sie haben recht«, mischt sich der Mausoleums-Aufseher ein, »sie sind Komplizen. Dieser Mann war bewaffnet und hatte vor, das Almosengeld zu stehlen, und er wollte mich töten …«
    »Warum lügst du?«, schreit Rassul, indem er auf ihn zugeht. Der Wächter hält ihn zurück. »Ja, ich bin dorthin gegangen, um ihn zu töten, aber nicht um zu stehlen. Nur um mich zu rächen, aber ich konnte nicht …«
    »Du treibst dich aber auch überall herum, du! Wer bist du, was bist du?«, fragt der Qhazi und beugt sich über den Schreibtisch.
    » Qhazi sahib , erlauben Sie mir, es Ihnen zu sagen«, meldet sich wieder der Mausoleums-Aufseher zu Wort und erhebt sich. »Das ist ein … verzeihen Sie, Qhazi sahib – Allah möge mir den Mund mit Staub füllen! –, dieser Mann ist ein Zuhälter. Ja, er ist ins Mausoleum gekommen, mit einer … verzeihen Sie, Qhazi sahib – Allah möge mir den Mund mit Staub füllen! –, mit einer Hure. Ich habe sie hinausgeworfen; und er, er wollte das Geld des Mausoleums stehlen. Sie sind nicht gekommen, um zu beten, sondern nur, um zu stehlen!« Der Richter fährt Rassul an: »Mit einer unreinen Frau? Fitna! Du weißt, dass der heilige Schah-e Do Schamschera Wali, dessen heiliges Grab sich im Mausoleum befindet, wegen einer unreinen Frau sein Leben verloren hat.« Er wendet sich an die anderen. »Man sagt, dass der Heilige, als er bereits vom Feind enthauptet war, tapfer weitergekämpft hat, ein Schwert in jeder Hand. Und als er nach Kabul kam, hat eine unreine Frau ihn mit dem bösen Blick angesehen. Der Heilige ist zusammengebrochen und hat seine Seele ausgehaucht. In den Hadithensteht geschrieben: Lasst eine unreine Frau keinen heiligen Ort betreten. Und der da bringt eine Unreine an diesen heiligen Ort! Der andere stiehlt die Tauben von dort! Was richtet ihr bloß mit dem Islam an?«, er herrscht den Gerichtsschreiber an: »Schreib! Schreib, dass ihm die für Diebe vorgesehene Strafe auferlegt wird«, und, indem er auf den Alten zeigt: »Angeklagt des Taubendiebstahls in den heiligen Mauern des Mausoleums. Man schlage ihm beide Hände ab.« Der Alte reißt entsetzt den Mund auf, unfähig zu sprechen. Die Taube verlässt seine Schulter, flattert durchs Zimmer und landet auf dem Schreibtisch des Qhazi . Der Gerichtsschreiber geht zum Richter und flüstert ihm

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