Verflucht sei Dostojewski
Wächter: »Gestern hat dieser fitna noch gesprochen. Ihr wart dabei.«
»Ja, Qhazi sahib . Wir sind Zeugen. Dieser fitna hat sehr wohl gesprochen.«
Der Qhazi ermahnt den Mann: »Fallen Sie nicht darauf herein. Fahren Sie fort!«
»Gut, vergessen wir seine Stummheit. Doch da das Opfer eine Frau ist, von einem Mann ermordet, darf der Mörder nach unserem heiligen Gesetz nicht gehängt werden, denn der Blutpreis für eine Frau beträgt die Hälfte vom Blutpreis eines Mannes.« Ein anderer Mann steht auf, um zu protestieren: »Das ist unmöglich.«
»Es ist möglich, den Mörder hinzurichten, wenn die Eltern des Opfers der Familie des Angeklagten die andere Hälfte des Preises entrichten.«
»Oder der Mörder wird freigesprochen, wenn er der Familie des Opfers ein Mädchen gibt …«
Wieder erhebt sich Geschrei: »Wo sind die Eltern des Opfers?«
»Sie muss gerächt werden!«
»Wenn sie nicht gerächt wird, wird das vergossene Blut auf uns lasten.«
»Auge um Auge!«
»Einen Augenblick, bitte!«, ergreift der Qhazi , der mit seiner Gebetskette spielt, wieder das Wort: »Es gibt noch weitere, noch schlimmere Anschuldigungen. Vor einigen Tagen hat ein Moslem, der Aufseher des Schah-e-Do-Schamschera-Wali-Mausoleums, vor dem Angeklagten und vor Zeugen ausgesagt, dass dieser fitna sich in Begleitung einer Prostituierten an den heiligen Ort begeben hat. Darüber hinaus hat er den Aufseher mit einem Revolver bedroht, um ihm das Almosengeld zu stehlen. Der Mörder hat vor den Zeugen gestanden, dass er den Aufseher töten wollte.«
»Dieser Mann hat den Tod verdient«, schreit einer der Männer. »Einen Unschuldigen bedrohen?!«, brüllt ein anderer. »Das ist eine Sünde!«, stimmen die Anwesenden zu. »Den Wächter von Schah-e Do Schamschera Wali töten? Lahaulobillah! «
»Das ist ein Verbrechen!«
»Das ist eine Beleidigung Allahs und der Heiligen!«
Rassul empfindet nichts mehr bei all diesem Radau. Er bleibt ungerührt. Einzig sein Blick ruht für einen Moment auf Parwaiz, der still die Versammelten beobachtet. Mit Gebrüll schafft es der Richter, wieder Ruhe herzustellen: »Ich habe euch zu Beginn der Sitzung nicht ohne Grund gesagt, dass der Mörder ein Vertreter des alten Regimes ist. Dieser Mann hat mir von sich aus gestanden, dass er sich von der Heiligen Religion abgewandt hat.«
Die Schreie werden frenetisch: »Satan!«
»Gottloser!«
»Abtrünniger!«
»Er verdient, gehängt zu werden!«
Wieder übertönt die schreiende Stimme des Richters den Saal: »Ja, Brüder, ihr seht einen Mann vor euch, der nach dem Koran ein fitna ist, die Verkörperung des Bösen auf Erden. Also muss ihm die Strafe auferlegt werden, welche die Scharia für Diebe und Abtrünnige vorsieht. Am Freitagmorgen, nach dem Ruf zum Gebet, werden ihm im Zarnegar-Park öffentlich die rechte Hand und der linke Fuß abgeschlagen; die Glieder werden aufgespießt und ausgestellt. Anschließend wird dieser fitna gehängt und drei Tage lang zur Schau gestellt, als Lektion für alle. Die Prostituierte, die ihn begleitet hat, um das Grab von Schah-e Do Schamschera Wali zu schänden, wird gesteinigt. So werden wir das Böse in unserer friedlichen Stadt ausrotten …«
»Allahu akbar !« , dreimal.
Da hast du deinen Prozess, Rassul. Zufrieden?
Ich höre nichts. Was sagen sie?
Nichts.
Parwaiz nähert sich Rassul, traurig und gedrückt, und wendet sich an die Zuschauer: »Moslembrüder, ich gebe zu, dass die Ausführungen des Qhazi sahib überzeugend sind. Ich erlaube mir jedoch, ein paar Bemerkungen hinzuzufügen. Wir haben diesen Mann nicht verhaftet, weder ich noch die Ordnungskräfte. Er hat sich aus freiem Willen gestellt.«
»Und warum hat er sich selbst gestellt? Es gibt einen Grund dafür!«, ruft der Qhazi aus, die Brust geschwellt vor Selbstgerechtigkeit.
»Ja, Qhazi sahib , es gibt einen Grund. Ich werde es Ihnen erklären«, fährt Parwaiz fort. »Ich bin diesem jungen Mann mehrmals begegnet. Das erste Mal haben meine Männer ihn in mein Büro gebracht. Sein Vermieter hatte ihn denunziert, weil er seine Miete nicht bezahlt hatte. An jenem Abend hatte er wirklich die Stimme verloren. Das merkte man. Und das letzte Mal, als er seine Stimme wiedergefunden hatte, kam er, um mir zu gestehen, dass er eine Frau getötet hat. Er hat eine Kupplerin getötet, um seine Verlobte aus ihren schmutzigen Klauen zu befreien. In Anbetracht der Person hielt ich es für angebracht, eine Untersuchung einzuleiten, und ich stellte fest, dass es
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