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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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Regeln, wie jeder Krieg.« Rassul steht ebenfalls auf. »Aber du, du kannst die Regeln ändern.« Parwaiz schaut ihn lange an, hält ihm die Hand hin. »Ich geb dir Bescheid, wenn es so weit ist. Ba amane koda . Kehr nach Hause zurück!«

ER WAGT ES NICHT, SEIN ZIMMER zu betreten, aus dem spitze Schreie und Gelächter dringen. Er wagt es nicht, die Freude zunichtezumachen, die bei ihm zu Hause herrscht. Leise öffnet er die Tür einen Spalt. Yarmohamads Töchter und zwei andere Kinder spielen mit seinen Büchern, bauen Häuser daraus, stellen eins aufs andere. Die Puppen in ihren unschuldigen Händen klettern von Stockwerk zu Stockwerk:
    »Khala, khala , gib mir Feuer!«
    »Ich hab keins, geh nach oben!«
    »Khala, khala , gib mir Feuer!«
    »Ich hab keins, geh nach oben!«
    »Khala, khal… «
    Diese Heiterkeit beruhigt Rassul; er bleibt auf der Schwelle stehen, untersagt sich, diese Welt zu zerstören, in der niemand Feuer hat. Er lässt die Kinder ihre Träume spielen. Geht die Treppe wieder hinunter. Von Yarmohamad oder Rona keine Spur. Er findet sich auf der Straße wieder, ohne eine Menschenseele. Die Sonne dringt hemmungslos durch seine Haut, bringt das Blut zum Kochen, löst eigenartige Empfindungen aus, eigenartige Gefühle innerer Trostlosigkeit.
    Der Körper ist nichts als eine bleierne Hülle.
    Der Körper braucht Äther.
    Hanf muss her, immer wieder von neuem.
    In der saqichana ist niemand, nur Mostapha sitzt zusammengekauert in einer Ecke neben einer erloschenen Wasserpfeife. »Salam!« , ruft Rassul ihm zu. Der andere richtet sich zaghaft auf, wackelt als Antwort mit dem Kopf und fragt, als wollte er seinem Freund Jalal Ehre erweisen: »Hat der Krieg schon begonnen?« – »Nein«, sagt Rassul. Der andere fordert ihn auf, Platz zu nehmen. »Hast du einen tali Haschisch?«
    »Wenn ich einen hätte, wäre ich nicht hergekommen.«
    Mostapha steht mühsam auf und begibt sich mit einem »Es sind alle weg« in die andere Ecke des Rauchzimmers, »seit dem Tod von kaka Sarwar …«
    »Ist er tot?«
    »Ja, sie haben ihn getötet. Er ist total bekifft in die Moschee gegangen, auf die Kanzel gestiegen und hat zum Mikrophon gegriffen, um den 18 . Vers des Korans zu rezitieren. Du weißt schon, den Vers, den er immer vorgetragen hat. Die Geschichte von den Gog und Magog«, Mostapha löst einen Ziegelstein aus der Wand, »wir waren hier. Wir konnten ihn hören. Wir hörten die Schüsse, die auf ihn abgegeben wurden.« Er schiebt die Hand ins Loch, wühlt; dann zieht er sie mit einem unterdrückten Stöhnen wieder heraus. Er hält einen Skorpion am Schwanz, legt ihn in den Kopf der Wasserpfeife. »Das ist alles, was uns zu rauchen bleibt«, grinst er traurig. Er zündet ein Streichholz an und steckt das Tier in Brand. Mit geschlossenen Augen zieht er den Rauch ein, behält ihn lange in seinen Lungen. Er reicht Rassul das Mundstück der Pfeife, bevor er sich wieder in seine Ecke kauert. Zögernd nimmt Rassul einen kurzen Zug, dann einen zweiten, längeren. Es brennt, als hätte er den Skorpion mitsamt seinem Gift verschluckt. Seine Kehle schnürt sich zusammen. Seine Venen zappeln wie kleine, verletzte Schlangen, die versuchen, die Haut zu durchstechen, um sich zu befreien. Er lässt die Pfeife fallen, stützt sich an der Mauer ab und steht auf. Alles dreht sich. Alles schwankt. Die Tür ist zwei Schritte von ihm entfernt, aber er braucht eine Ewigkeit, um sie zu erreichen.
    Draußen scheint noch immer die Sonne, verbissen, unnachgiebig, gnadenlos. Rassul, völlig berauscht von dem Gift, geht los.
    Wo ist der Schatten?
    Wo ist die Sanftheit?
    Wo ist Suphia?
    Immer nur im Rausch denkst du an sie.
    Nein, in meinem romantischen Abgrund.
    Oder in deinen grässlichen Qualen. Nur darum liebst du sie.
    Er kommt vor ihrem Haus an. Er will klopfen, aber seine Hand bleibt in der Schwebe, wie seine Gedanken.
    Was willst du von ihr?
    Nichts.
    Geh zurück.
    Aber ich will doch nur mit ihr reden.
    Was hast du ihr denn noch zu sagen? Was hast du ihr bis jetzt gesagt? Nichts. Mit oder ohne Stimme, du hast nichts zu sagen, nichts zu tun, außer deine ausgeleierten Gedanken zu wälzen.
    Nein, diesmal werde ich nicht schwafeln. Versprochen. Ich werde sie wie früher auf den Hügel von Baghebala führen, in die Weinberge, einfach nur, damit unsere Liebe Kabul überragt. Ich werde ihr sagen, wie schön sie ist. Sie wird erröten. Ich werde mich vor ihre Füße werfen und ihr endlich sagen, dass ich mich vor ihr verneige, dass ich nicht

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