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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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nehmen.
    Niemand will mich verurteilen.
    Dieser Freispruch, der sämtliche Gewissen reinwäscht, beraubt mich meines Verbrechens, meines Akts, meiner Existenz.
    Und das wird so bleiben, solange das Mysterium meiner Tat andauert. Ich muss nana Alias Leiche finden.

»TÖTEN, UM ZU EXISTIEREN, das ist das Grundprinzip sämtlicher Gemetzel, mein lieber Rassul«, sagt der Gerichtsschreiber, während er sich eine Akte unter den Arm schiebt und eiligen Schrittes Richtung Ausgang des Archivs geht. Rassul folgt ihm.
    »Ich will keine Theorien mehr, ich bitte dich nur, mir zu helfen, das Mysterium aufzuklären.«
    Der Gerichtsschreiber bleibt abrupt stehen: »Hältst du mich für einen Detektiv? Du bist weder in einem Kriminalfilm noch in einem Roman von … Agatha … Christie! Geh zu deinem Beschützer, Kommandeur Parwaiz.«
    »Ich war schon bei ihm. Aber er ist sehr besorgt und betroffen vom Verschwinden seines Adoptivsohns. Es heißt, er sei ermordet worden, man habe ihm den Kopf abgeschnitten …«
    »Der Totentanz!«
    Sie verstummen. Beim Verlassen des Gebäudes hält Rassul den Gerichtsschreiber zurück: »Du bist der Einzige, der mir helfen kann. Du weißt so viel. Du hast bestimmt viele Fälle bearbeitet, unzählige Geschichten gehört …«
    »Allerdings! Aber nie einen wie deinen! In deinem Fall kann ich nichts tun.«
    »Doch. Hilf mir, die Leiche der nana Alia zu finden.«
    »Aber was willst du denn mit dieser verfluchten Leiche?«
    »Beweisen, dass ich sie getötet habe.«
    »Es braucht keinen Beweis. Alle wissen, dass du getötet hast. Wenn du unbedingt mit einer Leiche durch die Stadt spazieren willst, dann spute dich! Erst heute Morgen hat man auf dem Friedhof Dehafghanan drei enthauptete, völlig verweste Leichen entdeckt, die in einem Grab versteckt waren. Los, geh und sag, dass du ihr Mörder bist!«
    Rassul sagt nichts mehr.
    Als sie im Hof des Wellayat ankommen, werden sie von einem Wächter des Qhazi sahib aufgehalten, der Rassul fragt: »Was machst du denn hier?«
    »Kommandeur Parwaiz hat gestern mit dem Qhazi sahib gesprochen, es ist in Ordnung, es ist alles geregelt«, antwortet der Gerichtsschreiber, dann sagt er zu Rassul: »Wir werden uns über deine Bitte ein anderes Mal unterhalten. Jetzt mach, dass du fortkommst!«
    »Ja, aber … ich weiß nicht, wohin.«
    »Geh nach Hause, junger Mann!«
    Der Wächter stellt sich dazwischen: »Nein, warte! Er ist unser Gefangener.«
    »Nicht mehr.«
    »Was soll das heißen, nicht mehr? Der Richter sucht ihn. Wie kann er ohne seine Erlaubnis rausgekommen sein?« Und er stößt Rassul mit seinem Gewehr an: »Los, beweg dich!«
    Perplex geht der Gerichtsschreiber auf Rassul zu und zischt ihm ins Ohr: »Du ziehst den Ärger an wie der Mist die Fliegen! Dein Kopf riecht nach qorma ! Du hättest stumm bleiben sollen, dann hätte die Welt ihre Ruhe.«
    »Ich bin nach Hause gegangen, aber alles hat sich geweigert, mich wiederzuerkennen, alles hat sich mir entzogen, meine Bücher, mein Bett, meine Kleider … Alles hat mich zurückgewiesen. Da bin ich zu meiner Verlobten gegangen. Sie erkennt mich auch nicht mehr.«
    »Mach dir keine Sorgen. Hier erkennt dich jeder«, sagt der Wächter, der Rassul am Arm gepackt hat und nicht mehr loslässt. Mit energischen Schritten schleppt er ihn ins Büro des Qhazi sahib . Ihr Auftritt scheucht eine Taube auf, die auf dem Schreibtisch des Richters herumgepickt hat. Sie flattert wild umher, prallt in Panik gegen die Scheiben, um dann Richtung Tür zu fliegen. Der Qhazi brüllt: »Tür zu, schnell!« Dann, indem er auf die Taube zeigt: »Passt auf, lasst das Beweisstück nicht entwischen!« Der Wächter beeilt sich, die Tür zu schließen. Als der Richter Rassul bemerkt, wird er wütend und fragt den Wächter und den Gerichtsschreiber: »Wo hat er gesteckt?«
    » Qhazi sahib , er hat seine Zelle verlassen!«, sagt der Wächter. Was den Qhazi noch mehr in Rage bringt: »Wie konnte er seine Zelle verlassen? Wer hat den Befehl erteilt?« Der Gerichtsschreiber stammelt: »Kommandeur Parwaiz hat ihn zu sich bestellt, er hat …«
    »Wer ist hier der Qhazi ? Er oder ich? Bringt ihn weg! Er kommt in die Zelle zurück! Kettet ihn an!«
    Zwei Männer, die vor dem Schreibtisch des Richters sitzen, drehen die Köpfe zu Rassul. Einer ist der Aufseher des Mausoleums Schah-e Do Schamschera Wali, der andere ein Greis, jener, der die Tauben vor dem Mausoleum mit Weizen gefüttert hat. Als sie Rassul erblicken, zucken sie zusammen. »Nein,

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