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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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an seinem Cousin fest.
    Ich bin zu mir gekommen, Razmodin.
    So bleiben sie eine ganze Weile stehen, dicht beieinander, bis der Wärter kommt. »Bruder, du musst gehen. Es ist Zeit für sein Abendessen.«
    Razmodin löst sich von Rassul. Sie schauen sich ein letztes Mal in die Augen: »Ich lasse dich nicht im Stich. Ich gehe zum Richter, zu allen. Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben zerstörst.«
    Entschlossen, aber voller Sorge verlässt er die Zelle. Der Wärter schließt die Tür, dann den Spion.
    Eine Fliege spaziert über die Wand.

TAT, TAT, TAT … TWAM, twam … asi …
    Woher stammen bloß diese abstrusen Wörter? Er muss sie irgendwo gehört haben. In einem indischen Film vielleicht. Unwichtig. Sie sind erholsam. Lassen dieses Miststück von Fliege etwas angenehmer erscheinen.
    Rassul pfeift die Melodie, um die Welt nicht mehr zu hören.
    Und so hört er nichts. Nicht den Motor des Wagens, der vor dem Fenster zum Stehen kommt. Nicht die Schritte der Männer, die den Flur betreten, sich der Zelle nähern. Nicht das Geräusch des Schlüssels im Schloss und nicht die Tür, die sich öffnet. Nicht die raue Stimme, die ihn anschnauzt: »Aufstehen!«
    Er bleibt sitzen.
    Es wird hell, und das strenge Gesicht Amer Salams taucht auf; er befiehlt, sie einen Augenblick allein zu lassen. Als sie allein sind, packt er Rassul am Kragen und fragt ihn, nach ein paar Beschimpfungen, wo das Geld und die Schmuckstücke seien, die er ihm gestohlen habe.
    Rassul zuckt gleichmütig die Schultern, bedeutet ihm, dass er es nicht weiß. Der andere lässt nicht locker, schwört, er werde sie Rassuls Mutter aus den Eingeweiden reißen, und drückt den Revolver auf seinen Bauch; Rassul sieht ihn immer noch ohne Angst an, zeigt auf seine Kehle und stöhnt, um ihm zu verstehen zu geben, dass er nicht sprechen kann. Völlig außer sich ordnet Amer Salam an, dass man ihm Papier und Stift bringe. Er gibt Rassul fünf Minuten, um aufzuschreiben, wo das Geld und der Schmuck sind. »Wenn nichts auf dem Papier steht, wische ich deiner Verlobten damit die Fotze ab!« Dann verlässt er die Zelle.
    Man bringt Rassul ein Blatt und einen Stift. Er schreibt: » Lassen Sie meine Familie in Ruhe. Unter dem Galgen werde ich Ihnen alles aushändigen «, und gibt dem Wärter das Papier zurück.
    Fünf Minuten später kommen die Wächter. Sie lassen Rassul hinaustreten, Hände und Füße in Ketten.
    Bevor sie in den Laster steigen, fragt ihn einer der Wächter, ob er seine Waschung vorgenommen habe. Lächelnd nickt Rassul. Der Kleinlaster passiert das Tor des Wellayat , biegt auf die Straße und beschleunigt. Rassul, in sich zusammengekrümmt, hört von weitem seinen Namen. In der ausgestorbenen Straße bemerkt er Razmodin, der rennt und schreit und mit den Händen fuchtelt, um den Wagen aufzuhalten. Rassul schaut ihm gleichmütig zu.
    Der Laster fährt. Rassul beobachtet die wenigen Leute, die in derselben Richtung unterwegs sind wie sie, Richtung Zarnegar-Park.
    Nie war der Himmel in der letzten Zeit so blau, so fern. Und die Sonne so hell, so nah.
    Der Laster hält im Park, alle steigen aus.
    Rassul ist in den Gesang der Vögel vertieft. Sein Blick verliert sich in den Ästen der Bäume, um sie zu suchen, um mit ihnen zu trällern: Tat, tat, tat … twam, twam … asi … »Rassul!« Eine Frau im himmelblauen Tschaderi eilt auf ihn zu und hebt einen Zipfel ihres Schleiers. Es ist Suphia, in Tränen aufgelöst; auf ein Zeichen des neuen Gerichtsschreibers wird sie von den bewaffneten Männern weggestoßen. Sie treiben Rassul an, der apathisch ist, gleichgültig gegenüber allen, die ihn anschauen, selbst gegenüber Farzan, der ihm mit seinem traurigen Lächeln zunickt, um ihn zu grüßen.
    »Bringt ihn nicht dahin!« Es ist wieder Razmodin, der atemlos hinter dem Gefolge herbrüllt. »Zu Befehl, Herr Kommandeur!«, grinst einer der Bewaffneten und hindert Razmodin daran, näher zu kommen. Razmodin aber wiederholt verzweifelt immer wieder dieselben Worte: »Glaubt mir, es ist schrecklich, was hier vor sich geht!«
    Die Männer drängen Rassul vorwärts, Suphia und Farzan folgen ihnen. Als sie den Galgen ohne Strick erblicken, der von einer schweigenden Menge umringt wird, bleiben sie abrupt stehen.
    »Warum hat dieser Galgen keinen Strick?«, fragt der Gerichtsschreiber. »Man hat ihn abgeschnitten!«, ruft einer der Wächter.
    Eilig nähern sich die Wächter der Menge am Fuße des Galgens. »Brüder, lasst uns durch, wir bringen den

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