Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
andere gedacht. Nur an sich und die verletzten Gefühle ihrer Tochter. Was für eine Egozentrik, welch ein Narzissmus.
Drei Tote!
Drei Tote, weil eine Mutter ihre Grenzen nicht kannte, sich in das Leben ihrer Kinder mischte, die keine Kinder mehr waren. Weil sie nicht loslassen konnte oder den rechten Zeitpunkt verpasst hatte und jedes Maß vergaß. Sie hatte Rache genommen. Fürchterliche Rache.
Dühnfort bebte vor Wut, als er durch Krankenhausgänge schritt, durch ein Labyrinth von Korridoren, auf der Suche nach der Station 7, auf der Suche nach Marlis Schäfer.
Er musste sich beruhigen. So konnte er ihr nicht gegenübertreten.
Seit Meo ihm mitgeteilt hatte, dass Saskia Eckel sich mit ihrem richtigen Namen bei Facebook unter dem Pseudonym »Sascha« angemeldet hatte und die IP-Daten zu ihrem Rechner in der Firma führten, wechselten sich Fassungslosigkeit, Wut und Bestürzung in einem steten Kreislauf ab. Diese dumme, arrogante, selbstgefällige Frau hatte sich ins Leben ihrer Tochter gemischt, hatte den Racheengel gegeben, als wäre Mika drei Jahre alt und nicht in der Lage, sich mit ihrer Freundin selbst auseinanderzusetzen. Was Dühnfort nicht verstand: Warum hatte Saskia Eckel ihre Mobbingaktion gegen Isa nicht abgebrochen, als diese sich bei Mika entschuldigt und das Handyvideo bei YouTube gelöscht hatte? Denn darum war es ja wohl gegangen. Aug um Aug. Zahn um Zahn. Video um Foto. Die öffentliche Demütigung. Wie du meiner Tochter, so ich dir.
Der Korridor verband den Neu- mit dem Altbau. Dühnfort erreichte eine Vorhalle. Türen führten in den Klinikgarten. Dort setzte er sich auf eine Bank im Schatten einer Mauer und versuchte sich zu beruhigen. Wie das, was Saskia Eckel angerichtet hatte, strafrechtlich zu bewerten war, wusste er nicht. Das hatten andere zu beurteilen. Er musste einen Mordfall lösen. Es gab offene Fragen. Zuerst war das Gespräch mit Marlis Schäfer an der Reihe, dann würde er die Familie Eckel aufsuchen.
In den letzten Stunden war das Licht diffus geworden, die harten Schatten weich. Der Himmel hatte sich bezogen, eine dünne milchige Schicht spannte sich wie Gaze zwischen Himmel und Erde. Dennoch war es unerträglich heiß. Kein Lufthauch rührte sich.
Eine junge Frau näherte sich mit unsicheren Schritten. Sie trug einen Morgenrock und schob einen Infusionsständer neben sich her. Instinktiv rutschte Dühnfort zur Seite, signalisierte ihr so, dass dieser Platz im Schatten noch frei war, was sie mit einem kraftlosen Lächeln quittierte. Schweigend saßen sie einen Moment nebeneinander. Es war Zeit. Dühnfort erhob sich. »Auf Wiedersehen.«
»Ich wollte Sie nicht vertreiben.«
»Das haben Sie nicht.« Er lächelte ihr zu und kehrte ins Klinikgebäude zurück. Die Station 7 unterschied sich nicht wesentlich von Hunderten anderer Krankenstationen in den Kliniken dieser Stadt. Eine freundliche Ärztin berichtete ihm, dass Marlis Schäfers Zustand stabil war. »Sie ist eine starke Frau und wird auch mit diesem Schlag fertigwerden. Natürlich können Sie mit ihr sprechen, aber bitte seien Sie rücksichtsvoll.« Sie erklärte ihm, wo er Marlis Schäfer finden würde. Er klopfte an und trat ein. Das Bett war leer. Sie saß am Tisch, starrte aus dem Fenster und sprach leise vor sich hin. »Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer; ich finde sie nimmer und nimmermehr.«
»Frau Schäfer.«
Sie reagierte kaum. Hob nur kurz den Blick und starrte wieder aus dem Fenster auf eine Reihe dicht stehender dunkler Fichten vor einer hohen Mauer. » Mein armer Kopf ist mir verrückt, mein armer Sinn ist mir zerstückt. Kennen Sie das?«
Er schob einen Stuhl heran und setzte sich. »Gretchens Monolog am Spinnrad.« Nach ihm nur schau ich zum Fenster hinaus, nach ihm nur geh ich aus dem Haus. Zu Schulzeiten hatte er das mal auswendig lernen müssen. Stefan Schäfer kam nie mehr zurück.
»Und seiner Rede Zauberfluss, sein Händedruck, und ach, sein Kuss.« Noch immer sprach sie in Richtung Fenster. Eher zu sich selbst, und doch auch zu ihm. »Wenn er doch nur mit mir geredet hätte …«
Die weißblonden Haare waren ordentlich frisiert. Das ungeschminkte Gesicht war für Dühnfort ungewohnt. Sie trug ein Krankenhausnachthemd und darüber einen offenen Morgenrock in einem blassen Blau. Die Stärke, die sie bisher ausgestrahlt hatte, war verschwunden. Sie wirkte durchscheinend und zerbrechlich. Die Augen waren gerötet und vom Weinen verquollen. Natürlich machte sie sich Vorwürfe. Er
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