Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
nicht, vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig, und das irritierte ihn. Er fand keine Nummer der Eltern, nur eine der Oma. Manchen waren Bilder zugeordnet, und dabei entdeckte er das Mädchen von der gerahmten Fotografie. Mika Eckel.
9
Sie fühlte sich zerschlagen, total müde und gleichzeitig völlig überdreht. Ihr Kopf summte. Bilder und Gesprächsfetzen der vergangenen Nacht blitzten auf wie von Stroboskoplichtern beleuchtet und verschwanden sofort wieder in der Dunkelheit. Es gelang Mika einfach nicht, einzuschlafen.
Unten in der Küche rumorte jemand. Sicher Mam. Vielleicht auch Phillip. Obwohl? Phil eher nicht. Der schlief bestimmt noch. Ihr Bruder hatte den aktiven Teil seines Lebens während der Semesterferien in die Nacht verlagert. Erst wenn Paps aus China zurückkam, musste er wieder spuren. Ab zum Praktikum ins Unternehmen. Schließlich sollte er nach erfolgreichem Physikstudium irgendwann mal die Entwicklungsabteilung leiten, denn früher oder später wollten ihre Eltern die Firma ihren Kindern übergeben. Mika wälzte sich auf die Seite. Einerseits war es ja prima, sich keine Sorgen um die berufliche Zukunft machen zu müssen. Doch die Vorstellung, ihr Leben sei bereits verplant, nahm ihr die Luft zum Atmen.
Stöhnend setzte sie sich auf. Ihr fehlte jede Leidenschaft für BWL. Doch ihre Eltern erwarteten, dass sie genau das studierte. Ganz brave Tochter, hatte sie die Bewerbungsfristen eingehalten und ihre Unterlagen an diversen Unis eingereicht. Beinahe täglich rechnete sie mit einem Bescheid, und da sie ziemlich gute Noten hatte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie abgelehnt wurde, eher gering. Sie wollte nicht. Nicht BWL. Kunst oder Architektur. Das würde sie reizen. Doch gegen Mam und Paps kam sie einfach nicht an.
Vielleicht hätte sie doch mit zu Lukas gehen sollen. Auf ein Frühstück mit ihrer Mam oder Phil hatte sie absolut keine Lust. Er war einfach nur ein aalglatter Schleimer, der stets sein Fähnchen nach dem Wind hängte. Hauptsache, er erlangte dadurch einen Vorteil. So war er schon immer gewesen, und das würde sich vermutlich nie ändern. Und Mam würde über ihre Arbeit in der Firma reden oder über Klamotten, Kosmetik, Restaurants und in welches Wellnesshotel sie im Herbst fahren sollten. Bei der Vorstellung eines Gesprächs über Belanglosigkeiten hätte Mika am liebsten geschrien.
Seit Isas Tod kam es ihr vor, als ob der Boden wankte, auf dem sie stand. Sie suchte krampfhaft Halt und fand ihn nicht. Etwas verschob und veränderte sich, und das machte ihr Angst. Als ob sie langsam und unaufhaltsam auf einen Abgrund zuschlidderte, unfähig anzuhalten oder auch nur die Richtung zu ändern.
Sie stützte den Kopf in die Hände. Was dachte sie denn da? Lauter trübe Gedanken. Isa würde jetzt sagen: Kopf hoch. Ist alles nicht wirklich schlimm, und irgendwie regelt sich das meiste von selbst. Let’s have fun.
Bei dem Gedanken an Isa zog sich alles in Mika zusammen. Sie fehlte ihr so! Nie wieder freche Sprüche. Nie wieder Isarfeste mit Isa, nie wieder Couchpotato-Abende, nie wieder verstohlene Twilight -Kinobesuche. Sie hatten sich echt unter die schluchzenden Teenies gemischt und mitgeheult, als Bella und Edward endlich Hochzeit feierten.
Warum hast du nicht angerufen, Isa, an jenem Abend? Ich hätte dir zugehört und deine Tränen getrocknet, ich wäre mit dir wütend gewesen auf Sascha, dieses Arschloch, und dann hätten wir gemeinsam über ihn gelästert, bis wir über ihn gelacht und es ihm mit gleicher Münze vergolten hätten. Ich hätte dir das ausgeredet, Isa. Warum hast du nicht angerufen?
Das Summen in ihrem Kopf nahm zu. Die ewig selben Gedanken kreisten darin. Wieder und wieder. Sie stand auf und schlüpfte in Jeans und T-Shirt, steckte Handy und Geldbörse ein. Da kann man nichts machen. Shit happens. Let’s have fun, Mika.
Sie würde jetzt Croissants besorgen und zu Lukas gehen. Barfuß schlich sie die Treppe hinunter. Mam unterhielt sich in der Küche mit der Zugehfrau. Ihre Stimmen drangen gedämpft ins Treppenhaus. Der Marmor fühlte sich kühl an. Mit einem Korb voller Wäsche kam Rosa aus der Küche. Mika legte den Zeigefinger auf die Lippen. Die Zugehfrau verstand, schloss den Mund wieder, den sie bereits zum Gruß geöffnet hatte, und verschwand Richtung Keller. Keine Lust auf Mam. Nicht am frühen Morgen.
Mika erreichte die unterste Stufe, als die Klingel an der Gegensprechanlage erklang und auf dem Monitor, der sich einschaltete, das Gesicht eines
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