Verfluchte Seelen
er weiß nicht, ob sie an diesem Ort bleiben, und falls sie es nicht tun, hat er nicht die Möglichkeit, ihren neuen Aufenthaltsort zu bestimmen. Ich hingegen schon.«
»Ami …«
Beschwichtigend hob sie die Hand und legte den Kopf in den Nacken, um dem Ältesten der Unsterblichen in die Augen schauen zu können. »Ich habe dir bereits gesagt, dass ich gern eine aktive Rolle dabei spielen möchte, Emrys seiner gerechten Strafe zuzuführen. David hat mir dieses Recht zugestanden, genauso wie Marcus.« Sie suchte den Blick ihres Mannes und hielt ihn fest. »Entspricht das nicht der Wahrheit?«
Marcus seufzte schwer. »Ja.«
»Also gibt es auch kein Problem, stimmt’s? Und jetzt lasst Bastien endlich zu Melanie zurückkehren. Er hat sich schreckliche Sorgen um sie gemacht.«
Sicherheitshalber ließ Bastien eine volle Minute verstreichen, ehe er sich bewegte. Als niemand Einspruch erhob, verließ er den Trainingsraum und marschierte den Flur hinunter zu einem der schalldicht isolierten Ruheräume, die David erst kürzlich hatte bauen lassen.
In diesem Augenblick materialisierte sich Seth vor der geschlossenen Tür.
Bastien blieb direkt vor ihm stehen und wartete.
Der Anführer der Unsterblichen Wächter legte ihm die Hand auf die Schulter.
Bastien versteifte sich unwillkürlich, als der Flur um ihn herum verschwand und ersetzt wurde durch Bilder, die Seth in seinem Kopf heraufbeschwor. Großer Schmerz begleitete diese Bilder. Zahllose Stunden unerträglicher Schmerzen, während Männer in Krankenhauskitteln und chirurgischen Gesichtsmasken ihm Verbrennungen zufügten und Fleischstücke aus ihm herausschnitten, wieder und wieder. Sie zerschnitten seinen ganzen Körper. Nahmen Tausende von Gewebeproben. Entfernten einzelne Organe. Schnitten ihm Finger und Zehen ab. Versetzten ihm elektrische Schläge, wobei sie sich erst auf den Kopf und dann auf das Herz konzentrierten. Sie sezierten ihn bei lebendigem Leib.
Noch nie zuvor hatte er solche unerträglichen Qualen aushalten müssen, und er öffnete unwillkürlich den Mund, um vor Schmerzen zu schreien.
Doch in diesem Moment zog Seth die Hand weg. Die Bilder lösten sich auf, und er stand wieder im Flur von Davids Haus.
Der Schrei erstarb in Bastiens Kehle. Seine Knie gaben nach. Keuchend sank er zu Boden und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ.
»Was zum Henker war das?«, ächzte er. Er stützte sich mit der Hand an der Wand ab und stand mühsam wieder auf.
»Das«, sagte Seth, »war nur ein winziger Bruchteil von dem, was Ami erwartet hätte, wenn sie wieder von Emrys’ Leuten gefangen genommen worden wäre. Eine Gefahr, der du sie wissentlich ausgesetzt hast.«
Grauen ergriff Besitz von Bastien. Er hatte gewusst, dass sie Schlimmes durchgemacht hatte, aber das … »Das haben sie ihr angetan?«
»Das und noch mehr. Emrys’ Leute haben sie sechs Monate lang gefoltert und bei lebendigem Leib seziert. Ohne den Einsatz von Betäubungsmitteln.«
Seth hatte jedes Recht, seinem Leben ein Ende zu bereiten.
»Diesen Fehler mache ich kein zweites Mal«, schwor Bastien. Seit vor zweihundert Jahren seine Schwester Cat gestorben war, war Ami die einzige Frau, der er vergleichbare geschwisterliche Gefühle entgegenbrachte. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre – niemals würde er riskieren, dass sie noch einmal gefangen genommen wurde und solche Qualen erleiden musste. Wenn er davon gewusst hätte, wäre er das Risiko nicht eingegangen. Wenn sie im Hauptquartier in eine gefährliche Situation geraten wäre, und es Marcus nicht gelungen wäre, sie zu beschützen, hätte Bastien nicht gezögert, sein Leben für sie zu geben, dennoch …
Selbst das schien nicht genug zu sein.
Seth gab die Tür frei und klopfte Bastien auf die Schulter. »Ich wusste, dass du es wert bist, gerettet zu werden.«
Verblüfft starrte Bastien ihn an. »Aber du hast gesagt, dass du mich töten willst!«
Der Älteste der Unsterblichen zuckte mit den Achseln. »Frag Roland, wie häufig ich ihm schon damit gedroht habe, ihn umzubringen. Nichts Ungewöhnliches, wenn man zur Familie gehört.«
Bastien runzelte nachdenklich die Stirn. Wollte er wirklich zu so einer durchgeknallten Familie gehören?
»Ja, das willst du. Vertrau mir.«
»Es würde mir leichter fallen, dir zu vertrauen, wenn du aufhören würdest, mich zu würgen.«
»Du hast mich verärgert. Und ich schlage vor, dass du versuchst, mich in Zukunft nicht mehr zu wütend zu machen. Aber solange du Amis Sicherheit
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