Verfluchte Seelen
Boden zu erkennen. Sie sahen aus, als hätte ein Vulkan Erde statt Feuer und Lava ausgespuckt.
»Wo sind wir?«
»Das ist mein früheres Versteck«, beantwortete Bastien ihre Frage und ließ ihren Arm los. (Hatten seine Finger eine Sekunde länger auf ihm verweilt als nötig?) »Oder vielmehr das, was davon übrig geblieben ist.«
Dies war also die Festung, in der Bastiens Vampirarmee gehaust hatte?
Melanie sah sich noch einmal gründlicher um, aber abgesehen von den dunklen Bäumen, die einen kleinen Halbkreis um sie herum bildeten, fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf. Wenn Seth gar nicht die Absicht gehabt hatte, sie an diesen Ort zu teleportieren … »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich gehe?« Sie wusste zwar nicht, wohin, aber …
»Nein«, erwiderte Seth. »Ich wollte damit nicht sagen, dass Sie nicht willkommen sind. Ich wollte mich nur dafür entschuldigen, dass ich Sie ohne jede Vorwarnung hierher teleportiert habe.«
»Entschuldigung angenommen.«
Tanner streckte ihr seine Hand hin. »Ich bin übrigens Tanner Long.« Er war ein gut aussehender Mann, etwa Mitte dreißig, und er trug lange Hosen und ein Hemd. Durch sein kurzes blondes Haar hob er sich stark von den Unsterblichen mit ihrem schwarzen Haar und den braunen Augen ab. Außerdem trug er eine Brille mit Drahtgestell, was ihn ebenfalls von den anderen unterschied. Dem Aussehen nach hätte man ihn für einen Bankangestellten oder Buchhalter halten können. Oder für einen Hochschulprofessor.
Einen attraktiver Hochschulprofessor, würde Linda wahrscheinlich sagen, um im Anschluss »Teach me Tonight« zu trällern.
Melanie schüttelte seine Hand. »Melanie Lipton. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Jetzt habe ich zum ersten Mal Gelegenheit, Ihnen für alles zu danken, was sie für Vince, Cliff und Joe getan haben. Ich glaube, dass ein paar von den Unsterblichen und den Mitarbeitern des Netzwerks so lange gegen die Vampire gekämpft haben, dass sie vergessen haben, in welcher Notlage die sich befinden. Aber bei Ihnen ist das anders.«
Dass er das sagte, bedeutete ihr viel. »Ich wünschte, ich hätte mehr für Vince tun können.«
»Abgesehen von Bastien waren Sie die Einzige, die wirklich versucht hat, ihm zu helfen. Das wusste er zu schätzen, glauben Sie mir.«
»Ich danke Ihnen.«
Bastiens Blick, der zwischen Melanie und Tanner hin- und hergewandert war, glitt zu Seth. »Was machen wir überhaupt hier?«
»Ich wollte dir nicht vor den anderen sagen, dass ich beschlossen habe, Tanner zu deinem Sekundanten zu ernennen. Ich dachte, du würdest vielleicht etwas Dummes sagen, wie zum Beispiel …«
»Ich brauche keinen Sekundanten«, widersprach Bastien sofort.
»… genau
das
«, beendete Seth seinen Satz.
Tanner musterte Bastien nachdenklich. »Als du mit den Vampiren zusammengearbeitet hast, hast du auch einen Sekundanten gebraucht.«
»Das war was anderes.«
»Eigentlich nicht.«
Seth hob die Hand, um Bastien davon abzuhalten, mit etwas herauszuplatzen, das ihm offenbar auf der Zunge lag. »Wenn du deinen Pflichten als Unsterblicher Wächter nachkommen möchtest, ohne einen – wie du es ausdrückst –
Babysitter
an deiner Seite, dann brauchst du einen Sekundanten.«
Stirnrunzelnd stemmte Tanner beide Hände in die Hüfte. »Und ich habe immer geglaubt, dass du mit meiner Arbeit zufrieden warst.«
»Das war ich auch.«
»Falls du dir Sorgen machst, dass ich nicht an deiner Seite kämpfen könnte, dann kann ich dich beruhigen. Die Leute vom Netzwerk trainieren mich jetzt schon seit fast zwei Jahren.«
»Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
Das hätte Melanie auch gern gewusst. Sie hätte gedacht, dass sich Bastien über dieses Arrangement freuen würde.
»Wenn du mein Sekundant werden würdest, dann würden die anderen dich meiden, wenn nicht Schlimmeres …«
Tanner lachte. »Teufel noch mal. Darüber machst du dir Sorgen? Dass die anderen Sekundanten mich nicht akzeptieren könnten? Wir sind nicht mehr auf der Highschool, Bastien. Mir ist es scheißegal, wer mich mag und wer nicht.«
4
Bastien spannte unwillkürlich die Muskeln an. Zum einen konnte er es nicht leiden, wenn seine Warnungen achtlos in den Wind geschlagen wurden, und zum anderen hatte er den Eindruck, dass Tanner nicht wirklich wusste, worauf er sich einließ. »Du hast recht, wir sind nicht mehr auf der Highschool. Das hier ist kein Beliebtheitswettbewerb ohne Bedeutung für unser weiteres Leben. Hier geht es um
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