Verfolgt im Mondlicht
wenn dir etwas passiert«, gab sie zurück. »Was wollte denn dein Vater?«
Lucas’ Miene verfinsterte sich. »Es geht um Clara, meine Halbschwester. Sie ist wieder mal weggerannt. Sie hat ihm erzählt, dass sie hierherwill, aber er geht davon aus, dass sie zurück zu ihrem Freund gegangen ist.«
»Das tut mir leid. Was wirst du jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht.« Er seufzte. »Ich bin ihr schon zweimal hinterhergegangen. Sie hat gesagt, dass sie herkommen möchte. Aber vielleicht hat sie nur gelogen. Wenn ich sie gegen ihren Willen hierherbringe, rennt sie ja doch wieder weg.«
»Ist ihr Freund denn so schlimm?«
Er rümpfte missbilligend die Nase. »Er ist ein Abtrünniger in einer Gang.«
»Und das macht ihn automatisch schlecht?« Kylie hatte inzwischen mitbekommen, dass nicht alle Übernatürlichen gemeldet waren. Allein diese Tatsache reichte für manche schon aus, diese als Abtrünnige zu bezeichnen. Doch nicht alle nicht-gemeldeten Übernatürlichen waren böse. Della hielt Chan nicht für böse. Und Kylie würde gern glauben, dass ihr Großvater und ihre Großtante auch nicht böse waren. »Sind denn alle Gangs böse?«
Ihre Frage ließ ihn stutzen. »Nicht unbedingt. Aber auch die Gangs, die nicht total unmoralisch handeln, haben meistens irgendwas Illegales am Laufen.«
»Drogen?«
»Unter anderem.«
Kylie erinnerte sich daran, wie leid ihr Lucas getan hatte, als er seinem Vater so abwehrend gegenübergestanden hatte. Er hatte sich für sie gegen seine eigene Familie gestellt. Sie fühlte mit ihm. »Wenn deine Halbschwester auch nur ein bisschen so ist wie ihr Halbbruder, dann wird sie sicher das Richtige tun.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Es war spät. Es war dunkel. Aber der Moment schien so richtig zu sein. Was als kurzer Kuss gedacht war, wurde zu einem langen. Sehr langen. Er vertiefte den Kuss, und sie ließ sich darin fallen. Sie spürte, wie sein muskulöser Körper sich an ihren drückte.
Sie hörte das summende Geräusch, dass er von sich gab, wenn er einer potenziellen Partnerin nahe war. Sie war wie hypnotisiert – eingelullt von dem Geräusch und in Versuchung geführt.
Er schmeckte so gut, er fühlte sich so gut an. Sie wollte mehr. Sie wollte mehr spüren. Mehr erleben.
Doch die Magie war jäh zu Ende, als er sich plötzlich von ihr löste. Er strich ihr über die Wange. In seinen Augen glühte noch die Leidenschaft, doch ihn schien noch etwas anderes zu beschäftigen. »Tut mir leid, dass dich mein Dad so erschreckt hat.«
Am liebsten hätte sie ihm gesagt, er solle sie einfach weiter küssen. »Schon okay.« Sie versuchte, nicht ganz so enttäuscht zu klingen.
»Nein, ist es nicht.« Er nahm ihre Hand und ging mit ihr in Richtung Veranda.
»Er hat ja gleich gesagt, dass er uns nichts tun wird.« Kylie wollte es Lucas gern leichter machen.
»Das solltest du ihm aber nie glauben.«
Angst regte sich in ihrer Brust. Sie setzten sich auf die Veranda, so dass sie sich mit dem Rücken an die Wand lehnen konnten.
Er fuhr ihr mit dem Daumen über die Lippen. »Ich will meinen Vater nicht in deiner Nähe sehen.«
Sie sah in seinem Blick, dass er es todernst meinte. »Hat er dir weh getan?« Das Bedürfnis, ihn zu beschützen, ließ ihr Blut schneller fließen.
»Mir nicht. Ich bin sein Sohn. Aber alle anderen sieht er nur als Beute.«
»Wenn er so schlimm ist, warum bist du dann dorthin gegangen? Warum gibst du dich überhaupt mit ihm ab?«
»Hauptsächlich für Clara. Andererseits … brauche ich ihn gerade auch.«
»Warum?«
»Seine Zustimmung wird mir helfen, in den Rat zu kommen.«
Der Rat, in den er nicht kommen würde, wenn er sie heiratete. Eine dunkle Vorahnung beschlich Kylie. Sie musste daran denken, was Della über ihre Beziehung und die Probleme mit seiner Familie und dem Rudel gesagt hatte. Sie schob den Gedanken beiseite und versuchte, Lucas zu verstehen. »Aber, wenn sie etwas auf die Zustimmung von so jemandem geben, warum willst du dann überhaupt in den Rat kommen?«
Er schloss für einen Moment die Augen, als wäre es zu kompliziert, um es zu erklären. »Wenn ich in diesen Rat komme, hab ich die Chance, etwas zu verändern.«
Kylie erinnerte sich daran, dass seine Großmutter ihr erzählt hatte, was Lucas ändern wollte. Er wollte, dass Kinder, die von Abtrünnigen aufgezogen wurden, nicht automatisch als schlecht angesehen werden.
»Aber bis dahin werde ich so tun müssen, als wäre ich
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