Verfuehr mich
das stumme Telefon, klappte es dann zu und warf Bliss einen wilden Blick zu. »Wir müssen da raus und ihm helfen! Du hast doch im Moment nichts weiter Wichtiges zu tun. Wir könnten also ein Taxi nehmen und -«
Bliss unterbrach sie mit erhobener Hand. »Bis Pine Island sind es zwei Stunden. Vier, wenn man die fünfzehn Blocks mitzählt, die wir im Stadtverkehr bis zur Penn Station brauchen.«
»Aber wir müssen doch irgendwas tun!«, jammerte Vi.
Bliss schüttelte den Kopf. »Nein, müssen wir nicht. Roccos nächster Anruf wird wahrscheinlich aus einer Bar kommen, wo er für seine Geschichte mit Gratisdrinks versorgt wird. Und dann wird ihm sicher die halbe Insel dabei helfen, sein gottverdammtes Boot wieder an Land zu ziehen. Verlass dich drauf.«
»Na ja …« Das Handy klingelte erneut. Vi klappte es auf und hielt es sich ans Ohr. »Rocco? Rocco? Großer Gott, wie geht’s dir, Darling. Wo bist du? Was ist mit dem Boot passiert? Ist alles in Ordnung? Deinen linken Schuh hat die Sandbank verschluckt? Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Gib ihm doch mal Gelegenheit, eine deiner Fragen auch zu beantworten«, schlug Bliss leicht genervt und erschöpft vor.
»Das ist eine echte Krise«, erklärte Vi mit heiserer Stimme. »Irgendjemand muss ihm doch die wichtigen Fragen stellen.«
Unter wichtig verstand Bliss allerdings etwas anderes. Irgendwas in ihrem Inneren spannte sich an, löste sich wieder und kam dann doch mit aller Macht hervor.
»Du kannst mich mal … gern haben«, murmelte sie. Im Herzen war sie immer noch ein Kleinstadtmädchen, das es niemals über sich bringen würde, ihrer Chefin die Meinung zu sagen.
»Was?«
»Ich sagte, du kannst mich mal gern haben. Ich nehme ein paar Tage frei.«
»Das geht nicht. Ich brauche dich hier.«
Bliss schob die Papiere von ihrem Schreibtisch in eine Einkaufstasche, auf der das Motto Ich würde jetzt lieber am Strand liegen, als mich mit diesem Mist rumzuärgern! , hätte stehen können. Dann wäre ihr die Erklärung erspart geblieben, wo sie hin wollte. Und wieso. Doch es war nur eine einfache Strohtasche ohne jede Aufschrift. Bliss hatte trotzdem genug. Genug von Violet Lentone. Genug von Manhattan bei dieser Hitze. Genug von allem!
Und Violet würde sowieso annehmen, dass sie an den Strand wollte. Leonardville in Pensylvannia wurde zwar auf den Karten nicht als Erholungsgebiet verzeichnet – in den meisten war es nicht mal eingetragen -, aber Jaz war dort.
Er freute sich aufrichtig, sie zu sehen. Bliss war erleichtert. Irgendetwas in ihrem leidenden Kopf hatte ihr zugeflüstert, dass er bestimmt mit einer anderen Frau zugange wäre. Irgendeine schlanke Blondine, die jedes Bedürfnis von Jaz sofort erkannte und ein paar Sekunden später bereits befriedigte. Und die Bliss beim Betreten von Jaz’ Büro, nach dem ermüdenden Flug und dem üblichen Trip ins Niemandsland, genau denselben Blick cooler Abschätzigkeit zugeworfen hatte. Jenen Blick, der ihr bereits beim Kennenlernen dieser Person nicht gefallen hatte. Dora!
Mit professioneller Höflichkeit führte Jaz’ Assistentin Bliss in das Firmenapartment, das an die Chefetage grenzte, und entschuldigte sich, dass sie nicht länger bleiben könnte, um zu plaudern. Bliss hatte die unausgesprochene Botschaft sehr wohl verstanden: Dora war wichtig und hatte zu tun.
Als sie sich umsah, fiel ihr ein, dass sie sich schon mal gefragt hatte, wo Jaz in Leonardville wohl wohnte. Dies war also seine Zweitwohnung in der Firma. Die Einrichtung war männlich und erinnerte entfernt an eine Anwaltskanzlei. Überall standen dunkelbraune Ledermöbel mit messingglänzenden Polsternägeln herum, und die Regale waren mit farblich abgestimmten Büchern gefüllt.
Aber das Bett im anderen Zimmer war wunderbar. Wunderbar und riesig. Die surrende Klimaanlage machte ein Deckbett unverzichtbar – selbst im August. Die Decke war riesig und zu luftiger Fülle aufgeschüttelt worden. Der reinste Schlummertempel. Bliss stellte ihre Tasche ab und warf sich auf das Bett, sodass sie fast in dem Federmonstrum versank.
Plötzlich hörte sie, wie die Tür der Wohnung geöffnet und leise wieder geschlossen wurde. Jaz betrat das Schlafzimmer, setzte sich auf die Bettkante und fuhr ihr über den Rücken. Bliss drehte sich nicht mal um. Dazu fühlte es sich einfach zu gut an.
»Wie geht’s dir? Du klangst am Telefon ja ziemlich verzweifelt.«
»Schon besser«, murmelte sie. »Tolles Bett.«
»Schlaf ruhig ein bisschen. Ich
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