Verführer der Nacht
in dem Dickicht aus Ranken, in dem er steckte, keine Chance gegen diese Stampede. Sie rannte zu ihm, wobei sie den züngelnden Schlangen auswich, die immer noch versuchten, ihrem Herrn und Meister zu gehorchen, obwohl die Hitze sie von innen heraus zerfraß. Colby kannte das Gelände und wusste, dass die Rinder den steilen Abhang hinunterrasten, der genau zu der Stelle führte, wo sie sich befanden. Sie konnte sie jetzt furchtsam muhen hören, und in der Ferne sah sie direkt unter dem Bergrücken einen unheimlichen, orangeroten Lichtschein. »Paul!« Ohne auf die Dornen zu achten, fing sie an, die Ranken von ihrem Bruder zu reißen.
Die Attacke kam von hinten, in Form eines Windstoßes und lautem Flügelschlagen. Unnatürlich große Fledermäuse verdunkelten den Himmel, die mit ausgefahrenen Krallen auf Rafael herunterstießen.
Colby konnte nicht hinschauen. Zu groß war ihre Angst, er würde unter dem Gewicht so vieler Angreifer zu Boden gehen. Verzweifelt klammerte sie sich an Rafaels ruhige Zuversicht und konzentrierte sich darauf, Paul zu befreien. Rafael hatte ihren Bruder aus seiner Trance aufwachen lassen, und er war bereits damit beschäftigt, sich aus dem von Pflanzen geschaffenen Gefängnis herauszukämpfen. Colby unterdrückte ihre Furcht und trieb mit der Kraft ihrer Gedanken die dicken Stängel auseinander, bis sich die Ranken weit genug teilten, um Paul herauszulassen. Er kam taumelnd auf die Beine und hielt sich an Colbys Hand fest, während sie versuchte, ihn aus dem Weg der heranstürmenden Rinder zu ziehen.
Im Laufen rief sie Rafael zu, sich in Sicherheit zu bringen. Die Erde bebte unter den schweren Hufen, und sie konnte sehen, wie die verschreckten Tiere über die Hügelkuppe und den Abhang hinuntergaloppierten. Colby keuchte vor Entsetzen, als sie sah, dass große, rötliche Flammen zwischen den einzelnen Tieren hin und her sprangen und ihre Panik noch steigerten. Sie schubste Paul auf einen Felsvorsprung und drehte sich zu Rafael um.
Rafael! Der Schrei kam aus ihrem Inneren, nicht von ihren Lippen. Noch immer hielt er unerschütterlich die Stellung.
Die Schwärme von Fledermäusen waren nur wenige Zentimeter von seiner Haut entfernt, aber unfähig, die unsichtbare Barriere, die Rafael offensichtlich errichtet hatte, zu durchdringen und ihm das Fleisch von den Knochen zu reißen. Colby spürte, wie viel Anstrengung es ihn kostete, die grausamen Geschöpfe abzuwehren und gleichzeitig Regen vom Himmel fallen zu lassen, um die Feuer zu löschen, die überall in der Herde ausbrachen, und noch dazu mit dem Vampir zu kämpfen, der sich irgendwo in der Nähe verbarg. Sie trat einen Schritt vor. Wie konnte sie ihm helfen?
Du darfst ihn nicht ablenken. Nicolas klang genauso ruhig, genauso selbstbewusst und genauso gebieterisch wie Rafael. Seine Stimme war in ihrem Bewusstsein, eine Erinnerung, wie nahe die Brüder einander waren. Nicolas verursachte ihr eine Gänsehaut, und statt sie zu beruhigen, verstärkte er nur das Gefühl, von allen Seiten bedroht zu werden.
»Colby!« Paul packte sie am Arm und zerrte sie auf den Felsen, als die Rinder durch das Tal fegten.
Sie konnte den Blick nicht von Rafael wenden. Selbst angesichts einer Stampede strahlte er Macht und Selbstvertrauen aus. Ohne eine Miene zu verziehen, beherrschte er die Elemente, zeigte keinen Augenblick lang ein Anzeichen von Furcht oder Schmerzen, obwohl er körperlich unter dem starken Blutverlust leiden musste. Colby war bei ihm, in seinem Bewusstsein, und kämpfte den Kampf mit ihm. Sie wusste, dass Nicolas geistig mit ihnen beiden verbunden war. Er war bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Durch Rafael wusste sie, dass Nicolas sich mit hoher Geschwindigkeit in ihre Richtung bewegte ... und dass er durch die Luft flog!
Blitze sprangen von der Wolkendecke zu Rafael. Er fing die glühend heißen Speere ab und benutzte sie für eine Attacke, indem er einen Hagelschauer silbriger Lichtpfeile auf den Vampir regnen ließ. Hinter Rafael wurde ein Baum entwurzelt und stürzte mit weit ausgebreiteten gewaltigen Ästen auf ihn hinab.
Colby versuchte, ihn mit einem Schrei zu warnen, aber Paul presste ihr grob seine Hand auf den Mund und warf sie fast an einen Felsen. Ihr blieb keine Zeit, ihn anzufahren, weil sie im selben Moment einen flammenden Speer entdeckte, der durch die Luft sauste und direkt auf ihr Herz zielte. Sie trat wild um sich und versuchte, sich aus Pauls ungewohnt kräftigem Griff zu befreien, mit dem er sie immer noch
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