Verführer der Nacht
Schau ihn einfach nur an. Die Brüder Chevez und Nicolas sind unterwegs, es gibt also keinen Grund, zu verzweifeln.
Die absolute Gewissheit, die er ausstrahlte, ermöglichte es Colby, ihre Panik in Schach zu halten. Sie hatte seine Stimme schon immer schön gefunden, aber als er mit dem Vampir gesprochen hatte, hatte sie sich unwillkürlich gewünscht, ihn immer und immer wieder sprechen zu hören. Ein Zauber und große Überzeugungskraft lagen in seiner Stimme. Obwohl ihr Rafaels Fehler durchaus bewusst waren, wusste sie, dass sie gerade den Unterschied zwischen Gut und Böse vor sich sah.
»Nicht du hast die Wahl zu treffen. Mal sehen, wen deine Frau lieber am Leben halten will«, knurrte der Vampir. Seine Kralle zog quer über Pauls Kehle einen Strich und hinterließ eine schmale Blutspur.
Colby schrie auf und trat einen Schritt vor, doch Paul stand im Weg und würde zu Schaden kommen, wenn sie ihrer Macht jetzt freien Lauf ließ. Das konnte sie nicht riskieren.
Ihr Bruder fing an zu schluchzen und flehte sie an, ihm zu helfen.
Rafael, der Colbys inneren Aufruhr spürte, machte eine Handbewegung in Pauls Richtung. Der Junge wurde sofort ruhig; sein Körper erschlaffte, und sein Blick trübte sich. Er weiß nicht, was vorgeht, kann sich also auch nicht fürchten, versuchte Rafael, Colby zu beruhigen.
Wie stehen unsere Chancen, ihn zu retten ? Es kostete sie alles, was sie an Selbstbeherrschung besaß, sich nicht auf den Vampir zu stürzen. Seltsamerweise traute sie Rafael zu, Paul zu retten. Sie war in seinem Bewusstsein und sah seine absolute Entschlossenheit. Er würde notfalls sein Leben für ihren Bruder opfern. Sie fuhr herum und legte eine Hand an ihren Hals. Der Vorsatz war in ihm zu erkennen. Was er auch plante, es würde ihn möglicherweise töten, doch er war entschlossen, Pauls Leben zu retten. Ein Laut des Protests formte sich in Colbys Geist.
Sieh ihn an ! Lass ihn nicht aus den Augen ! Es war ein scharfer, herrischer Befehl, erteilt von jemandem, der es gewohnt war, zu befehlen und Gehorsam zu finden.
Rafael war viel mehr als ein Mensch. Sie konnte seine Macht fühlen. Colby hielt ihren Blick unverwandt auf den Vampir gerichtet. Worauf wartete er? Warum verlängerte er diese Folter?
Vampire nähren sich vom Grauen und von den Schmerzen anderer. Er genießt es, deine Angst zu sehen, während du daraufwartest, welchen von uns ertöten wird. Es ist die absolute Macht über Leben und Tod, die Kontrolle über andere, die jetzt seine Bedürfnisse befriedigt.
Donnerschläge grollten, und grelle Blitze, die über den Himmel zuckten, blendeten sie. Über ihnen ballten sich Wolken zu dunklen Gespinsten zusammen. Colbys Haut prickelte, und sie wusste, dass irgendwo in den Felsen über ihnen die Brüder Chevez waren. Sie unterdrückte den Drang, ihren Blick fragend auf Rafael zu heften. Er hatte ihr diese Information übermittelt, das Wissen, dass Gewehre auf den Vampir gerichtet waren.
»Triff eine Wahl!«, knurrte der Vampir, die Krallen an Pauls Kehle gedrückt. Die mutierten Schlangen gerieten in ihrer Mordlust und Gier nach Blut sofort in Aufruhr, erhoben ihre hässlichen Köpfe und wiegten sich zuckend hin und her.
In der Erde bewegte sich etwas. Colby fühlte ein Beben unter ihren Füßen und wusste sofort, dass noch mehr von den widerwärtigen Geschöpfen, die den Vampir bewachten, sich zum Angriff bereit machten. Sie ballte die Fäuste. Worauf wartest du ? Er hat noch mehr von diesen ekelhaften Kreaturen bei sich. Ich kann fühlen, wie sie sich unter uns in der Erde bewegen.
Rafael ignorierte sie. »Du Abschaum, denkst du daran, dir diese Frau zu nehmen und deine Seele mit ihr zu heilen? Daraus wird nichts. Sie würde sich nie unterwerfen und dir irgendwann das Herz aus der Brust schneiden.«
Der Vampir lachte. Nach der Reinheit von Rafaels Stimme klang es hässlich und misstönend. »Sie ist von keinerlei Nutzen für mich. Sie verfügt nicht über die Gabe, die ich suche. Warum sollte ich wie du sein wollen und anderen dienen, wenn ich über sie herrschen kann?« Verachtung zeichnete sich auf seinen Zügen ab und verstärkte das Böse, das er ausstrahlte.
»Du suchst eine Gabe?« Rafael klang leicht belustigt. »Warum sollte einer vom uralten Stamm die Gabe eines Menschen brauchen? Du hast dir einen gewissen Ruf erworben, und wenn bekannt wird, dass du Menschen brauchst, um deine Pläne erfolgreich auszuführen, könntest du dich lächerlich machen.«
Colby wand sich innerlich. Rafael
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