Verführerische Unschuld
fort: „Teilen Sie aus, Sir.“
Und dann begann der Krieg am Kartentisch. Radwell sah über sein Blatt hinweg Miranda an, die erwiderte sein Lächeln vielsagend, und dann ging Stich um Stich an die beiden. So sehr harmonierten sie miteinander, dass Esme von einer Woge der Eifersucht erfasst wurde und sich fragte, was zwischen den beiden einmal gewesen sein mochte, um sie so vollkommen aufeinander einzustimmen.
Esme warf Lord Baxter einen Blick zu, der die Partie zwar so gut wie allein bestritt, sie aber jedes Mal tadelte, wenn ihnen ein Punkt verloren ging, und immer wieder mit Nachdruck auf den Tisch hämmerte. Er benahm sich derartig ungehobelt und so abscheulich rücksichtslos, dass Esme sich nicht vorstellen mochte, einem solchen Menschen für den Rest ihres Lebens beim Frühstück gegenüberzusitzen. Wut stieg in ihr auf. Sie fragte sich, ob der Verdacht, der ihr vorhin bezüglich des Tisches gekommen war, stimmte. Es war klar, dass sie abermals verloren hatten, denn gerade deckte Miranda zum Beweis ihre Karten auf. Mit einem wütenden Faustschlag auf die Tischplatte kommentierte Lord Baxter das Ergebnis, der Tisch schwankte abermals verdächtig, und in diesem Moment trat Esme im Schutz der herabhängenden Damastdecke heftig gegen ein Tischbein. Der Tisch knickte zur Seite weg und fiel um, die Karten flatterten zu Boden, und der Inhalt eines Weinglases ergoss sich über die Hose Seiner Lordschaft.
Entgeistert starrte er auf die Verwüstung, die er angerichtet zu haben glaubte, und stammelte: „Ich … ich …“
Miranda befahl mit einer raschen Geste einen Lakaien her, damit er das Durcheinander beseitigte, schenkte Lord Baxter ein sprödes Lächeln und murmelte: „Das war sehr erbaulich.“
„Und das war der Beste von den dreien?“, fragte Radwell unschuldig.
Woraufhin Esme ihm einen Tritt vor das Schienbein versetzte, obwohl kein schützendes Tischtuch vorhanden war.
Als sie zu der üblichen späten Stunde in die Bibliothek kam, fand sie Radwell vor dem Kamin sitzend, neben ihm am Boden ein aufgeschlagenes Buch.
„Nach gestern Nacht dachte ich wohl, du wärest vernünftig genug wegzubleiben.“
Sie setzte sich in einen Sessel nahe des Sofas. „Vielleicht kam ich ja nur, um mir ein Buch zu holen? Harmloser kann doch nichts sein, oder? Die Auswahl ist groß genug. Was zum Beispiel liest du da gerade?“
„Keine Ahnung, ich nahm es auf gut Glück aus dem Regal und habe gerade nur eine Seite gelesen.“ Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht.
„Nun, ich werde es dir nicht wegnehmen.“ Esme fand, er sah noch erschöpfter aus als am Abend zuvor.
Tief seufzend antwortete er: „Ich kann mich kaum auf die Buchstaben konzentrieren, aber ich kann einfach nicht schlafen. Wenn das nicht bald aufhört, bringe ich mich um.“
„Dann verschwende deinen Atem nicht darauf, mich fortzuschicken, da es dir sowieso nicht so leicht gelingen wird. Ich werde dich unter diesen Umständen nicht allein lassen. Soll ich dir vorlesen?“
Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
„Wie könnten wir sonst die Zeit herumbringen?“
Ungläubig schaute er sie an, sagte jedoch nichts.
„Ich würde ja ein Kartenspiel vorschlagen, aber ehrlich gesagt habe ich für heute genug davon. Welche Peinlichkeit! Du warst nicht sehr nett zu Lord Baxter.“
„Im Gegenteil, er war nicht sehr nett zu dir, wie ich von meinem Tisch aus sehen konnte. Du schienst dich sehr ungemütlich zu fühlen.“
„Es war nichts“, behauptete sie.
„Sagst du! Aber ich kann diese Leute nicht ausstehen, die Karten spielen, als hinge ihr Leben davon ab, hingegen über den Krieg reden, als wäre er nur ein Spiel. Und eine Frau wegen eines Spiels abzukanzeln! Er war geradezu unverschämt! Es gab Zeiten, da hätte ich ihn wegen geringerer Beleidigungen gefordert.“ Lächelnd fügte er hinzu: „Meine heutige Methode war allerdings besser. Wenn er sich schon zum Narren machen wollte mit seiner ungehobelten Art, habe ich wenigstens dazu beigetragen, dass er es zur Freude aller Anwesenden tat.“
„Und damit hast du dafür gesorgt, dass er mir auf keinen Fall weiterhin den Hof machen kann“, wandte sie ein. „Er wird sich hier nicht mehr sehen lassen wollen.“
Radwell schnaubte verächtlich. „Als ob du das wolltest! Erzähl mir nicht, du hegtest für den Burschen eine tiefe Zuneigung, die sich auf seiner ständigen Kritik an dir gründet.“
Sie runzelte die Stirn. „Es geht nicht darum, was ich will. Vielleicht wäre er meine
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