Verführt von einer Lady
irgendwie verschwommen. Es lag nicht an ihm. Er war nicht aus dem Gleichgewicht. Alles andere schon. Er traute sich fast nicht, die Augen zu schließen, aus Angst, wenn er sie wieder öffnete, könnte der Himmel rot sein oder die Pferde Französisch reden – und jedes Mal, wenn er einen Schritt täte, wäre der Boden nicht ganz dort, wo er ihn erwartete.
Und dann sagte Audley: „Sie sind der Duke of Wyndham. Das Recht ist immer auf Ihrer Seite.“
Da hätte Thomas ihn wirklich gern noch einmal geschlagen. Vor allem, weil es Audleys Worte bestätigen würde. Niemand im Dorf würde es wagen, gegen ihn vorzugehen. Er konnte Audley zu Brei schlagen, und dann würden seine Überreste sauber beiseitegekehrt werden.
Ein Hoch auf den Duke of Wyndham. Wenn er nur daran dachte, wie viele der Vergünstigungen er noch nicht ausprobiert hatte, die der Titel mit sich brachte!
Vor der Poststation angekommen, warf er dem Stallburschen, der herausgerannt kam, die Zügel zu. Bobby hieß er. Thomas kannte ihn schon seit Jahren. Seine Eltern waren Pächter – ehrbare, arbeitsame Leute, die darauf bestanden, jedes Weihnachten einen Korb Buttergebäck nach Belgrave zu bringen, obwohl ihnen natürlich klar war, dass die Cavendishs kein Essen nötig hatten.
„Euer Gnaden“, sagte Bobby und strahlte ihn an, obwohl er noch ganz außer Atem war.
„Du passt doch gut auf sie auf, Bobby, nicht wahr?“ Thomas nickte zu Audleys Pferd hinüber, worauf der Junge auch dessen Zügel ergriff.
„Na klar, Sir.“
„Ich würde sie auch niemand anderem anvertrauen.“ Thomas warf ihm eine Münze zu. „Wir kommen bald wieder, vielleicht in … einer Stunde?“ Fragend sah er Audley an.
„Spätestens“, meinte der. Dann wandte er sich Bobby zu, sah dem Burschen direkt in die Augen, was Thomas verwunderte. „Gestern warst du aber nicht da“, sagte er.
„Nein, Sir“, erwiderte Bobby. „Ich komm bloß fünf Tage die Woche.“
Thomas kümmerte sich darum, dass der Gastwirt jeden Monat eine Sonderzahlung bekam, damit er den jüngeren Burschen einen freien Tag außer der Reihe geben konnte. Nicht dass außer dem Wirt jemand davon gewusst hätte.
„Hast du Lucy schon kennengelernt?“
Lucy? Thomas merkte interessiert auf.
„Den schwarzen Wallach?“ Bobbys Augen leuchteten.
„Sie haben einen Wallach namens Lucy?“, fragte Thomas.
„Genau den meine ich“, sagte Audley zu Bobby. Und dann zu Thomas: „Es ist eine lange Geschichte.“
„Er ist eine richtige Schönheit“, erklärte Bobby und riss ehrfürchtig die Augen auf. Thomas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Bevor er überhaupt laufen gelernt hatte, war Bobby schon verrückt nach Pferden gewesen. Thomas hatte immer vorgehabt, ihn eines Tages als Stallmeister einzustellen.
„Ich mag ihn auch ziemlich gern“, sagte Audley. „Er hat mir schon ein-, zweimal das Leben gerettet.“
Bobbys Augen wurden noch runder. „Wirklich?“
„Wirklich. Gegen ein so wunderbares britisches Pferd hat Napoleon einfach keine Chance.“ Audley sah zu den Ställen hinüber. „Geht es ihm gut?“
„Gestriegelt und mit Wasser versorgt. Ich hab mich selber darum gekümmert.“
Während Audley Vorkehrungen traf, damit sein Wallach mit dem albernen Namen für den Heimritt bereit gemacht wurde, begab Thomas sich in den Schankraum. Inzwischen verabscheute er Audley ein bisschen weniger als zuvor – einem Mann, der sein Pferd so gut versorgte, musste man einfach Respekt zollen –, aber ein Glas Bier konnte an einem Tag wie diesem trotzdem nicht schaden.
Er kannte den Gastwirt gut. Harry Gladdish war der Sohn des Stallmeistergehilfen von Belgrave und dort aufgewachsen. Thomas’ Vater hatte ihn als passenden Gefährten angesehen – er stand so weit unter Thomas, dass nie Zweifel daran bestanden hatte, wer der Anführer war. „Lieber ein Stallbursche als ein neureicher Emporkömmling“, hatte sein Vater oft gesagt.
Meist im Beisein von Thomas’ Mutter, welche die Tochter eines wohlhabenden Fabrikanten und somit eines neureichen Emporkömmlings war.
Allerdings stritten Harry und Thomas sich durchaus darüber, wer von ihnen der Anführer sein durfte, und waren darüber gute Freunde geworden. Im Lauf der Jahre war dann jeder seinen Weg gegangen – Thomas’ Vater hatte Harry am Hausunterricht in Belgrave teilnehmen lassen, aber keinerlei Anstalten gemacht, ihm weitere Schulbildung zukommen zu lassen. Thomas war nach Eton und Cambridge gegangen und hatte sich dann in den Trubel
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