Verfuehrt zur Liebe
der eben zu Ende gegangenen Saison ereignet hatte - die Skandale, die Hochzeiten und die köstlichsten Ondits. Noch überraschender war, dass Simon sich nicht wie gewöhnlich in Schweigen hüllte; stattdessen beteiligte er sich an der Unterhaltung und steuerte sogar eigene Bemerkungen bei. Was Charlie betraf, so hatte er immer schon viel und gerne geredet; es war leicht, ihn dazu zu verleiten, sie mit deftigen Geschichten über verlorene Wetten und andere Heldentaten der frisch in der Stadt eingetroffenen jungen Herren zu ergötzen.
Sie blieben vor dem Sommerhaus stehen und bewunderten seine Bauweise - es war etwas größer als gewöhnlich, weil es weiter vom Haus entfernt stand -, und dann setzten sie ihren Spaziergang fort und umrundeten den See.
Als sie wieder den Anstieg zum Haus erreichten, war Portia durchaus mit sich zufrieden. Sie hatte den ganzen Abend und einen langen Abendspaziergang mit zwei der gefährlichsten Männer der Gesellschaft recht gut überstanden - sie aus der Reserve zu locken, war gar nicht so schwer gewesen, wie sie es angenommen hatte.
Sie waren etwa auf der Hälfte des Anstiegs, als Henry erschien und auf sie zukam.
»Habt ihr Kitty gesehen?«, fragte er, als er bei ihnen war.
Sie schüttelten die Köpfe. Sie blieben stehen und schauten zum See. Der Weg war vollständig zu sehen von dort, wo sie sich befanden; Kittys aquamarinblaues Seidenkleid wäre leicht zu entdecken gewesen.
»Wir haben sie am Anfang gesehen«, erklärte Portia. »Sie und ein paar andere wollten zum Tempel gehen.«
Simon fügte hinzu: »Wir haben weder sie noch die anderen seitdem zu Gesicht bekommen.«
»Ich war schon beim Tempel«, erwiderte Henry.
Schritte erklangen unweit. Sie alle drehten sich um, aber es war James, der aus den Schatten trat.
»Hast du Kitty gesehen?«, fragte Henry ihn. »Ihre Mutter möchte etwas von ihr.«
James schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade zum Haus und wieder zurückgegangen, aber auf dem ganzen Weg ist mir niemand begegnet.«
Henry seufzte. »Dann suche ich besser weiter.« Mit einer Verbeugung zu Portia und einem Nicken zu den anderen entfernte er sich in Richtung der Lichtung.
Sie schauten ihm nach, bis die Schatten ihn verschluckt hatten.
»Es wäre sicher besser gewesen«, bemerkte James, »wenn Mrs. Archer daran gedacht hätte, vorhin schon mit Kitty zu sprechen. Jetzt dagegen ... wäre es vermutlich besser, wenn Henry sie nicht fände.«
Sie verstanden genau, was er damit sagen wollte. Das Schweigen streckte sich.
James fasste sich und blickte Portia an. »Verzeihung, meine Liebe. Ich fürchte, ich bin heute Abend nicht in der besten Stimmung - und kein angenehmer Gesellschafter. Wenn ich mich entschuldigen darf, kehre ich lieber zum Haus zurück.«
Er verneigte sich steif. Mit einem knappen Nicken für Simon und Charlie machte James auf dem Absatz kehrt und schritt über den Rasen.
Die drei folgten ihm langsamer und schweigend. Es gab wenig zu sagen - und es schien sogar irgendwie sicherer, das, was ihnen durch den Kopf ging, nicht in Worte zu fassen.
Sie befanden sich gerade an einer Wegkreuzung, von der aus man in der einen Richtung zum Tempel gelangen konnte, in der anderen zu der Lichtung, als sie leise Schritte vernahmen.
Gleichzeitig blieben sie stehen und schauten auf den schattigen Weg zum Tempel.
Eine Gestalt trat von einem schmaleren Pfad auf den Weg, weg vom Haus. Es war ein Mann. Er nahm den Weg, der zu ihnen führte, und passierte eine Stelle, die in helles Mondlicht getaucht war. Er blickte auf und entdeckte sie. Ohne sein Tempo zu verringern oder Erschrecken zu verraten, ging er zur Seite und nahm einen der anderen zahllosen Wege, die das dichte Gebüsch durchzogen.
Sein Schatten verschwand. Blätter raschelten, und dann war er fort.
Ein Augenblick verstrich, dann holten sie alle gleichzeitig Luft, drehten sich zum Haus und gingen weiter. Sie sprachen nicht und wichen auch den Blicken der anderen aus.
Trotzdem wussten alle, was die anderen dachten. Der Mann war kein Gast gewesen, und auch kein Dienstbote oder Arbeiter auf dem Landsitz.
Er war ein Zigeuner - schlank, dunkel und attraktiv.
Sein ungebändigtes Haar war in wilder Unordnung gewesen, sein Rock offen, und aus der Hose hingen lose Hemdzipfel heraus.
Es war schwierig, sich einen unschuldigen Grund dafür auszudenken, was so ein Mann im Haus zu tun gehabt hatte, ganz zu schweigen, weswegen er zu dieser späten Stunde in diesem Zustand herumlief.
Auf der weiten Rasenfläche
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