Verfuehrung
alle Register seiner Überredungskunst gezogen und seine Großmutter überzeugt, sich beim Abbate Grimani für ihn einzusetzen. Dieser war, aus Gründen, die nie jemand genauer erklärt hatte, in Abwesenheit ihrer Mutter und nach dem Tod ihres Vaters der Vormund der Kinder Zanettas geworden. Der Abbate empfahl ihm kurzerhand die geistliche Laufbahn. Wobei »die Empfehlung« in Form eines Ultimatums betreffs der finanziellen Unterstützung kam, und die Großmutter hatte nicht erst weinen und an die drei jüngeren Geschwister erinnern müssen, die anders als Giovanni, der Glückspilz, nicht mit der Mutter gegangen waren, um Giacomo klarzumachen, worauf diese Erpressung hinauslief.
Giacomo war nicht dumm. Selbst der miserabelste Geistliche war nie ohne Auskommen, und jemand wie er, der Verstand und Ausdrucksfähigkeit besaß, würde in der Lage sein, Karriere innerhalb der Kirche zu machen. Und war dabei immer höher angesehen als jeder Komödiant.
Also hatte er zugestimmt, zumal nichts von Dauer sein musste, solange er die ewigen Gelübde nicht abgelegt hatte. Hinzu kam, dass ein angehender Abbate anders als ein angehender Jurist auch Zeit für andere Dinge hatte. Für Gesellschaften. Und Glücksspiele. Und die sehr schöne Tänzerin im Palazzo des Senators Malipiero.
Den Senator kennenzulernen war ein Glücksfall gewesen, aus dem Giacomo etwas gemacht hatte. Malipieros Palazzo grenzte an die Calle della Comedia, wo Giacomo dieser Tage in der alten Wohnung seiner Eltern mit Francesco lebte. Den alten Herrn plagten die Gicht, seine Zahnlosigkeit, sein Gewicht, sein Alter von über siebzig Jahren und der Umstand, dass es ihm peinlich war, wie langsam er mittlerweile aß. Früher hatte der Senator gerne Gesellschaften gegeben, aber er schämte sich, der Einzige zu sein, der noch kaute und würgte, während der Rest der Gäste auf ihn wartete.
»Euer Exzellenz«, sagte Giacomo, »dann laden Sie eben nur Gäste ein, die für zwei essen, und das Problem ist gelöst!«
Malipiero schnaufte beeindruckt, tätschelte Giacomo den Kopf und nannte ihn einen guten Jungen. Dann runzelte er erneut die Stirn.
»Doch wo finde ich die?«
»Das ist allerdings heikel, denn Ihre Exzellenz müssten Ihre Gäste ausprobieren; und nachdem Sie die gewünschten gefunden haben, diese dann für Ihre Zwecke erhalten.«
Der Senator zog die gewünschte Schlussfolgerung und fragte den Abbate, ob Giacomo zu seinen Tischgesellschaften kommen dürfe. Danach wurde er täglich eingeladen, und obwohl er jung genug war, um wirklich immer hungrig für zwei zu sein, war das Beste an den Gesellschaften eindeutig der Glaube des Senators, man müsse das Auge ebenso wie den Gaumen erfreuen. Er hielt sich eine Tänzerin, die Tochter eines Gondoliere, und war obendrein noch in die Tochter des Mannes vergafft, der die ehemalige Theatertruppe von Giacomos Mutter leitete. Giacomo fand diese Teresa ebenfalls sehr schön, hielt sie aber für herzlos, weil sie immer nur mit ihrer Mutter erschien und die Mutter nie den Anstand hatte, sich bei diesen Mahlzeiten irgendwann diskret zurückzuziehen.
»Du bist grausam«, sagte er mit der Vertrautheit von Schauspielerkindern zu Teresa. Sie lachte.
»Zu dir oder dem Senator?«
»Er würde dich heiraten«, entgegnete Giacomo, was es ihm ersparte, sein eigenes Interesse zu leugnen.
»Das würde er nicht. Seine Familie steht im Goldenen Buch von Venedig, und Patrizier dürfen nicht unterhalb ihres Standes heiraten, sonst haben ihre Kinder überhaupt keinen Status mehr. Er redet nur von Ehe, um mich zu beeindrucken, aber sobald er sein Vergnügen gehabt hat, wird es damit zu Ende sein. Und was für ein Vergnügen soll das schon werden, bei seiner Breite und der Gicht! Er wird seinen Unersetzlichen wahrscheinlich gar nicht mehr finden unter all den Fettwülsten und mir dann die Schuld daran geben, wenn sich das gute Stück nicht mehr recken kann. Nein danke. Ich will nur regelmäßig diese außergewöhnlich guten Mahlzeiten von ihm, mehr nicht. Ich angele mir einen von den Prinzen oder Großfürsten, die nur unseretwegen zuhauf nach Venedig kommen, wie du weißt.« Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Und sag nicht, dass du um die Freude seiner Gesellschaft willen kommst.«
Er hätte einwenden können, dass er den alten Mann inzwischen aufrichtig gernhatte, aber natürlich würde er sich bei Malipiero nicht blicken lassen, wenn der Greis ein armer alter Bettler statt ein venezianischer Senator gewesen wäre, und das
Weitere Kostenlose Bücher